Elfenzorn
einer Schnelligkeit auf den sonderbar geformten Sattel der zweiten Reitechse, die Pia dazu veranlasste, die Liste der Dinge, die sie ihr bei passender Gelegenheit anzutun gedachte, noch einmal zu verlängern. Vielleicht war es an der Zeit, sich Notizen zu machen, damit sie nichts vergaß.
Zwei weitere gepanzerte Schattenelben, die auf nicht minder gepanzerten, boshaft aussehenden Trexen ritten, schlossen sich ihnen an, als sie sich in Bewegung setzten, und noch einmal zwei der großen, schweigsamen Krieger ritten ihnen ein Stück voraus. So viel dazu, sich möglichst unauffällig zu verhalten.
Pia begann ihren Ärger aber schon bald zu vergessen, denn Alica hielt sich zwar ein gehöriges Stück neben ihr, damit die Nähe ihrer Reitechse ihr Pferd nicht noch nervöser machte und es nicht etwa durchging oder sie abwarf, erwies sich aber als erstaunlich beredte Fremdenführerin, die alle ihre Fragen geduldig beantwortete, und die meisten sogar, bevor sie sie überhaupt stellen konnte. Sie musste sich gründlich auf diese vermeintlich improvisierte Stadtführung vorbereitet haben, dachte Pia … odersie war schon weitaus länger hier, als sie bisher angenommen hatte.
Chichen Itza erwies sich in jeder Hinsicht als eine Stadt der Wunder, und das nicht nur, weil sie tatsächlich auf Schritt und Tritt Neues und Unerwartetes entdeckte. Hatte sie am Anfang noch das Gefühl gehabt, in eine auf magische Weise zum Leben erwachte Computeranimation der alten Hauptstadt des Mayareiches geraten zu sein, so geriet dieser Eindruck mehr und mehr ins Wanken, je tiefer sie in die Stadt vordrangen … oder um genauer zu sein, sich von ihrem Zentrum entfernten. Sie hatte gewusst, dass diese Stadt groß gewesen war – irgendwo meinte sie einmal etwas von guten hunderttausend Einwohnern gelesen zu haben, aber hätte Alica die zehnfache Anzahl angegeben, hätte sie sie in diesem Moment wahrscheinlich auch geglaubt – und obwohl die allermeisten Gebäude auch jetzt leer zu stehen schienen und es hier und da unübersehbare Anzeichen von Verfall gab, war der größte Unterschied doch das pulsierende Leben, das diese Stadt erfüllte und von einem begehbaren Museum zu etwas Lebendigem und Atmenden machte; ein Unterschied, den sie sich niemals hätte vorstellen können, hätte sie ihn nicht mit eigenen Augen gesehen und vor allem gespürt .
Zu einem Gutteil lag es sicher an den Menschen. Die meisten waren deutlich kleiner als Alica – sogar kleiner als die Bewohner von WeißWald – und wirkten auf den ersten Blick nicht nur befremdlich, sondern mit ihren strengen Gesichtern und den nackten und oft großflächig tätowierten Oberkörpern auch ein bisschen unheimlich, aber wohin sie auch sah, blickte sie in freundliche Gesichter und lachende Augen. So martialisch sich die kleinwüchsigen Krieger auch gaben, spürte sie doch, dass sie einem sehr freundlichen Volk angehörten; und einem, das im Grunde sehr friedliebend war, wenn das Leben es ihm erlaubte. Sie sah eine Menge spielender Kinder und fröhlicher Frauen. Die jüngeren waren ausnahmslos hübsch, und die meisten sogar noch kleiner als Maxi und ihre Schwester. Es schien nicht eine einzigezu geben, die ihr nicht freundlich zulächelte oder sich ehrfürchtig verbeugte, wenn sie vorüberritten, und meistens auch beides. Kinder rannten ihnen lachend hinterher und liefen vermutlich nur deshalb nicht Gefahr, unter die Hufe ihres Pferdes zu geraten, weil sie einen respektvollen Abstand zu den Trexen mit ihren Ehrfurcht gebietenden Klauen und den nervös peitschenden, gefährlichen Schwänzen einhielten. Waren es am Anfang noch wenige, so nahm ihre Zahl doch mehr und mehr zu, bis ihr Johlen und Lachen so laut wurde, dass sie beinahe schreien mussten, um sich zu verständigen.
Schließlich wurde es Alica zu viel, und sie wandte sich mit einer unwilligen Geste zu ihrem Begleiter um. Pia war sicher, dass er weder etwas gesagt noch ein geheimes Zeichen gegeben hatte, doch die vier anderen Elben rückten deutlich näher heran, sodass allein die Präsenz ihrer unheimlichen Reittiere die Meute auf einem gewissen Abstand hielt.
Seltsam – Pia war beinahe ein bisschen enttäuscht, obwohl sie mit Kindern nie sonderlich viel am Hut gehabt hatte. Fast schon zu ihrem Erstaunen hörte sie sich selbst sagen: »Meinetwegen musst du sie nicht wegschicken.«
»Kinder!«, schnaubte Alica. »Ich weiß nicht, warum alle so versessen auf diese lärmenden, schmutzigen Dinger sind. Sie sind ja noch nicht einmal
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