Elfenzorn
oder ihre Kräfte gar in irgendeiner Weise zu verbrauchen. Dennoch erfüllte es sie stets mit einem sonderbaren Unbehagen, in jener düsteren Zwischenwelt zu sein ... die sich im Übrigen für sie selbst in rein gar nichts von der unterschied, die sie kannte.
Und doch hatte sie manchmal das Gefühl, nicht allein zu sein, sondern von etwas beobachtet zu werden, was für sie ebenso unsichtbar blieb wie sie selbst für den Rest der Welt.
Dieser Gedanke war ungefähr genauso konstruktiv wie das meiste von dem, was sie in den letzten Stunden gedacht hatte (nur ein bisschen verrückter), also schüttelte sie ihn ab und ging zwar schneller weiter, blieb aber trotzdem wachsam. Sie hatte nicht vergessen, was Alica ihr am Abend erzählt hatte. Wenn Kukulkan ihr wirklich misstraute, dann hatte er möglicherweise auch hier Wachen postiert.
Und wer weiß – vielleicht war sie ja schon längst kein Gast mehr hier, sondern bereits eine Gefangene, und Alica hatte nur vergessen, sie über diese unwesentliche Kleinigkeit zu informieren …
Mit einiger Mühe brachte sie den für Paranoia zuständigen Teil ihres Verstandes zum Schweigen und trat schließlich mit klopfendem Herzen aus dem Haus. Niemand stürzte sich auf sie. Kein Alarmgong wurde geschlagen, und auch der Himmel fiel ihr nicht auf den Kopf. Aber als sie nach oben sah, stellte sie immerhin fest, dass ihre instinktive Schätzung richtig gewesen war: Mitternacht musste schon seit einer Weile vorüber sein. Der Himmel war beinahe unheimlich klar – der Himmel einer Welt eben, in der es keine qualmenden Industrieschlote und Automobile gab und wahrscheinlich nur einen einzigen Menschen, der rauchte – und es war erstaunlich hell, wenn sie bedachte, dass der Mond über ihr kaum mehr als eine haardünne Sichel war, die in der nächsten Nacht vollkommen verschwunden sein musste. Außerdem war es so kalt, dass sie fast augenblicklich eine Gänsehaut bekam und sich mit den Händen die nackten Oberarme zu massieren begann, ohne es selbst zu bemerken.
Die Stille fiel ihr auf. Sie hatte nicht einmal die mindeste Vorstellung davon, wie viele Einwohner diese Stadt zählte, doch es mussten Tausende sein, wenn nicht Zehntausende, aber wenn sie sich das leise Raunen des Dschungels wegdachte, in dessenWipfeln der Wind spielte, dann war es hier so still, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.
War es möglich, dass es in dieser ganzen Stadt niemanden gab, der noch wach war?
Nein, das war un möglich. Es musste irgendjemanden geben, der an Schlaflosigkeit litt, zu viel oder zu wenig getrunken hatte, sich mit seiner Frau oder ihrem Mann gestritten hatte oder einfach unter Blähungen litt ... aber die Stadt, in deren Herzen sie sich befand, war buchstäblich totenstill.
Zum ersten Mal fragte sie sich, warum sie überhaupt hier herausgekommen war. Natürlich weil sie keinen Schlaf mehr gefunden hatte, aber das war nur der Grund, den der rationale Teil ihres Verstandes vorschob ... als ob die Welt, in der sie gestrandet war, auch nur im Entferntesten etwas mit diesem Wort zu tun hätte!
Gut, das half auch nicht unbedingt. Noch immer automatisch ihre nackten Oberarme massierend, sah sie nach links und rechts – dort waren nichts als Schatten – und dann glitt ihr Blick nicht nur ohne, sondern schon fast gegen ihren Willen an der gezackten Flanke der riesigen Pyramide hinauf und blieb an der eckigen Silhouette des Tempelgebäudes auf seiner Spitze hängen. Etwas Unheimliches ging davon aus, etwas, was ihre Seele wie ein eisiger Hauch berührte und ganz zweifellos nur ihrer eigenen Fantasie entsprang, ihr aber nichtsdestotrotz Angst machte, schlimm genug, um ihr die Kehle zuzuschnüren.
»Ihr solltet das nicht tun, Erhabene.«
Vor allem hätte sie nicht erschrocken zusammen- und herumfahren sollen, als sie die Stimme hinter sich hörte, aber sie tat es nicht nur, sondern ging auch sofort in eine breitbeinige, gebeugte Haltung.
»Das ist nicht nötig, Erhabene«, fuhr die Stimme fort und wurde zu einem Schatten, der hinter einem Mauervorsprung heraustrat und im nächsten Moment auch ein Gesicht bekam. Es kam ihr vage bekannt vor, auch wenn sie nicht wusste, warum:Dunkle Augen, die ein wenig zu tief in den Höhlen zu liegen schienen, Ohren, die nicht so spitz wie die eines Fuchses oder einer Fledermaus waren, aber trotzdem spitz , und gleichermaßen edel und erbarmungslos geschnittene Züge ...
Dann wusste sie es: »Ihr seid der Mann, dessen Trex ich getötet
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