Elfenzorn
eisenharte Muskeln, und ihre Ausdauer hatte sich mindestens verdoppelt. Sah man einmal von den diversen Schürf-, und Schnittwunden und ihrer ansehnlichen Sammlung von Prellungen ab, dann war sie so fit und gesund wie noch nie zuvor in ihrem Leben, und die Öko-Spinner, über die sie sich früher immer lustig gemacht hatte, hatten offensichtlich in mindestens einem Punkt vollkommen recht: Man konnte diese Gesundheit sehen. Sie war vielleicht nicht wirklich schöner geworden (was auch kaum noch möglich gewesen wäre), aber sie sah einfach unendlich viel lebendiger aus, als sie es jemals getan hatte.
Nun ja, dachte sie mit einem lautlosen, aber sehr tiefenSeufzen, wenigstens damit war es wohl bald vorbei. Vielleicht nicht mit der Gesundheit, wohl aber mit dem guten Aussehen. Noch ein paar Monate oder vielleicht auch nur Wochen, je nach dem, wie übel ihr das Schicksal mitspielen wollte, und sie würde anschwellen wie ein Hefeteig. Bald würde ihr der Bauch bis auf die Knie hängen und ihr Hintern breiter werden, aber gewiss nicht hübscher. Ihre Brüste würden größer (und auch nicht hübscher) werden und spannen und ihrem Bauch nacheilen und ganz bestimmt nie wieder zu ihrer jetzigen Form und Festigkeit zurückfinden. Und sie würde ganz bestimmt auch noch eine schreckliche Cellulitis bekommen und Schwangerschaftsstreifen, die so breit waren wie die Slicks eines Formel-1-Wagens, nur nicht so glatt.
Pia sah an sich herab, betastete mit den Fingerspitzen ihren Bauch und fragte sich einen Moment lang ganz ernsthaft, ob man schon etwas sah, aber dann musste sie über ihre eigene Frage lächeln. Es war gerade einmal wenige Wochen her, dass sie mit Lion geschlafen hatte, und so schnell ging es dann doch wieder nicht. Ein paar Wochen blieben ihr vermutlich noch, bis sie anfing, zum weiblichen Michelin-Männchen zu mutieren.
Aber das Lächeln verschwand genauso schnell wieder von ihrem Gesicht, wie es entstanden war, denn nun musste sie wieder an Ter Lion denken, den Vater des Kindes, das nun in ihr heranwuchs und von dem sie noch nicht einmal genau wusste, ob sie es überhaupt haben wollte. Das hieß nicht, dass sie es nicht wollte, sondern ...
Nein, sie wusste es nicht. Alles war viel zu schnell und ohne jegliche Vorwarnung über sie hereingebrochen, als dass sie bisher auch nur im Ansatz begriffen hätte, was das alles für sie bedeutete. Wie denn auch?
Pia verscheuchte diese vielleicht nicht wirklich unsinnigen, gerade aber alles andere als konstruktiven Gedanken, zog nun doch das Kleid an und brauchte mindestens fünf Minuten, um in nahezu vollkommener Dunkelheit die so harmlos wirkendenSchnürsandalen anzulegen. Vermutlich sah das Ergebnis trotzdem alles andere als gut aus, aber erstens sah das im Dunkeln ja niemand, und zweitens war sie schließlich nicht irgendwer, sondern Prinzessin Gaylen, nur eine Handbreit unter Gott angesiedelt. Niemand würde es wagen, über sie zu lachen. Wenigstens nicht, solange sie in Hörweite war.
Ein wenig ziellos durchquerte sie das große Zimmer, das sich an ihren Schlafraum anschloss, näherte sich dem Ausgang und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig genug der Mayakrieger, die draußen vor dem Haus Wache standen. Kurz entschlossen wechselte sie in die Welt der Schatten und beglückwünschte sich selbst zu ihrer Umsicht, als sie das Haus verließ. Zwei ihrer Indio-Bodyguards hatten sich unweit des Ausgangs auf dem Boden zusammengerollt und schnarchten, was das Zeug hielt, die beiden anderen waren jedoch umso aufmerksamer. Selbst unsichtbar, wie sie im Augenblick war, bereitete es ihr große Mühe, unerkannt an den beiden Männern vorbeizukommen; und noch sehr viel mehr, Alicas sogenannten Dachgarten zu durchqueren, ohne ein verräterisches Geräusch zu verursachen. Abgesehen von ihrer privaten Marihuana-Plantage bestand er im Grunde aus nichts anderem als wucherndem Unkraut, sodass sie sich mühsam einen Weg suchen müsste, auf dem sie nicht Gefahr lief, auf irgendetwas zu treten, was raschelte, knackte oder sich bewegte.
Erst als sie schon die Treppe mit den viel zu hohen Stufen hinunter und halb durch die große Halle hindurch war, ging sie nicht nur etwas entspannter, sondern kam auch wieder aus den Schatten heraus. Sie wusste selbst nicht genau, warum. Es gab keinen Grund dafür – sooft sie auch schon in die Schatten getreten war, um für den Rest der Welt unsichtbar zu werden, hatte sie doch nie das Gefühl gehabt, nur für eine gewisse Zeit dortbleiben zu können
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