Elfenzorn
sie.
»Pia«, verbesserte sie Pia, aber Alica schüttelte nur den Kopf und sagte noch einmal:
»Gaylen, Ich gewöhne mir gerade an, dich so zu nennen. Ist wahrscheinlich besser so.«
»Aber ich bin –«
»Du«, fiel ihr Alica mit unerwarteter Schärfe ins Wort, »weißt, wer du bist, und ich weiß das auch ... ja, und Jesus ebenfalls, aber das nutzt ihm nichts, weil ihn niemand hier versteht. Für alle anderen bist du Prinzessin Gaylen, auf deren Ankunft dieses ganze Land seit tausend Jahren wartet. Ob dir das gefällt oder nicht, es ist nun mal so. Und damit müssen wir leben. Aber mir wird schon irgendwas einfallen, keine Angst … wie üblich«, fügte sie nach kurzem Zögern und in verändertem Tonfall hinzu, wichihrem Blick dabei aber wohlweislich aus und konzentrierte sich scheinbar ganz darauf, perfekte Rauchkringel aus dem Fenster zu pusten.
Wäre sie nicht viel zu durcheinander dazu gewesen, dann wäre Pia ihr jetzt an die Kehle gegangen. Wenn sie jemals eine Freundin gebraucht hatte, die ihr half oder einfach nur zuhörte, dann jetzt – und bestimmt niemanden, der ihr auch noch Vorwürfe machte!
Aber sie war viel zu matt dazu, selbst ihre Gedanken schienen sich mittlerweile in Blei zu verwandeln. Alles wurde schwer.
Dann schlief sie ein.
XX
E s war dunkel, als sie erwachte, von einer sonderbaren Unruhe geplagt, die keinen Grund zu haben schien (ha, ha), es ihr aber dennoch unmöglich machte, weiterzuschlafen. Vielleicht ein Traum, den sie im Moment des Aufwachens schon wieder vergessen hatte.
Es war sehr still und nahezu vollkommen dunkel. Durch das schmale Fenster über ihrem Bett fiel blasses Sternenlicht, das aber von der Dunkelheit hier drinnen fast augenblicklich aufgesogen wurde wie ein einzelner Wassertropfen, der sich in die Wüste verirrt hatte, und alles, was sie hörte, war das gleichmäßige Schlagen ihres Herzens.
Zweier Herzen.
Der Gedanke war absurd, aber er half ihr, sich nun doch an den bizarren Traum zu erinnern, der sie letzten Endes aufgeweckt hatte. Vielleicht nicht der klassische Albtraum, in dem sie von irgendwelchen Ungeheuern verfolgt wurde und rannte und rannte, ohne von der Stelle zu kommen, auf seine ganz spezielle Art aber genauso absurd und Furcht einflößend. Pia blinzelte, wartete darauf, endgültig aus diesem Traum aufzuwachen, der sich in eine absurde Endlosschleife verwandelt hatte, in der hinter jeder Tür, die sie öffnete, nur wieder eine neue Tür und eine neue Dimension des Absurden zu lauern schien.
Sie hatte geträumt, sie wäre schwanger, und das überhaupt Allerlächerlichste war der Umstand, dass es gar kein Traum gewesen war, sondern den Tatsachen entsprach.
Sie wartete eine geraume Weile darauf, dass sich diese Erkenntnis setzte und irgendetwas in ihr auslöste, sah schließlich ein, dass das ebenso wenig geschehen würde, wie sie in dieser Nacht noch einmal den Schlaf finden könnte, und schlug mit einem Ruck die Decke zurück. Sie war darunter noch immer nackt und begann fast augenblicklich zu frieren, sah sich um undentdeckte einen niedrigen Hocker, auf dem die Dienerinnen eine Auswahl sauberer Kleider für sie zurechtgelegt hatten, aber dann zögerte sie, sie anzuziehen. Sie ging stattdessen zum Fenster zurück, um ihren Körper im bleichen Licht der wenigen Sterne zu begutachten. Von der einen oder anderen Schramme abgesehen, die sie an ihr kleines Abenteuer in Rio oder an den einen oder anderen Zwischenfall danach erinnerte, sah sie nicht einmal schlecht aus, auch wenn sie sich die eine oder andere (kleine) Rundung vielleicht an eine andere Stelle gewünscht hätte.
Dennoch konnte sie zufrieden sein. Wenn sie an die Pia zurückdachte, die sie noch vor wenigen Monaten gewesen war, die zusammen mit Jesus durch die Favelas gezogen war und ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit kleinen Trickdiebstählen und der einen oder anderen Betrügerei bestritten hatte (Estebans Angebot anzunehmen, ihr Leben zu finanzieren, hatte ihr Stolz ihr nicht erlaubt), hatte sie sich sehr zu ihrem Vorteil verändert. Sie war schon immer sehr sportlich gewesen und hatte auch schon immer das gehabt, was die meisten wohl als Top-Figur bezeichnet hätten, aber nun war sie dazu auch noch in einer Top-Form. Die Monate in WeißWald hatten zwar ihr Möglichstes getan, um Alica und sie umzubringen, aber nachdem ihnen das schlussendlich doch nicht gelungen war, hatten sie sie nur fitter werden lassen. Unter ihrer noch immer makellosen Haut verbargen sich jetzt
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