Elfenzorn
hier noch früh genug liefern.
»Er ist in guten Händen«, fuhr Farlan fort. »Ich mag Kukulkan nicht. Keiner von uns mag ihn. Er ist unheimlich, und ich glaube, insgeheim hasst er uns. Aber er ist auch ein mächtiger Zauberer und ein wirklich guter Heiler. Er wird Eurem Gefährten helfen.«
»Und dein Bruder?«
Farlan legte fragend den Kopf auf die Seite. Das war wohl das falsche Wort gewesen.
»Der Krieger, der seinen Arm verloren hat«, erklärte Pia, schon wieder von ihrem schlechten Gewissen geplagt. Sie hatte den Mann, der immerhin sein Leben für sie riskiert hatte, schlichtweg vergessen.
Farlan schüttelte den Kopf. »Er ist gestorben, Erhabene.«
»Ja, ich weiß. Und es tut mir leid.«
Wieder schüttelte der Elb den Kopf. »Das muss es nicht. Im Kampf für Euch zu sterben ist die größte Ehre, die einem Krieger widerfahren kann.«
Diesmal konnte Pia sich nur noch mit Mühe beherrschen, umihn nicht anzufahren. Sie hatte selten einen solchen Unsinn gehört. Das war nicht nur dumm, es machte sie wütend. Aber sie hatte nicht das Recht, ihm ihre Lebensanschauung aufzwingen zu wollen. Statt irgendetwas zu sagen, drehte sie sich wieder weg und sah zur Spitze der Pyramide hoch. Vielleicht hatten sich ihre Augen inzwischen besser an das veränderte Licht gewöhnt. Vielleicht war es vorhin auch noch gar nicht da gewesen, aber jetzt sah sie ein winziges rotes Licht, unmittelbar vor dem eckigen Umriss des verbotenen Tempels; wie das Auge eines Zyklopen, der dort oben stand und auf sie herabstarrte. Etwas Drohendes ging davon aus, vielleicht nicht einmal von dem Licht, das nichts anderes war als das Flämmchen einer Öllampe oder ein Stück glühender Kohle, sondern von diesem ganzen Ort.
»Ihr habt ausgesehen, als wolltet Ihr dort hinaufgehen«, fuhr Farlan fort, nachdem eine kleine Ewigkeit verstrichen war, wie es ihr vorkam. »Das solltet Ihr nicht tun.«
»Weil Kukulkan dann zornig werden könnte?«
Farlan nickte und schüttelte praktisch in derselben Bewegung den Kopf. »Das ist kein guter Ort«, sagte er. »Eure Seele könnte Schaden nehmen, wenn Ihr dorthin geht.«
Pia sah ihn ein wenig betroffen an. Warum lachte sie eigentlich nicht über diesen Unsinn? Eure Seele könnte Schaden nehmen?
»Ich glaube nicht an so etwas«, sagte sie und war sich vollkommen darüber im Klaren, wie falsch das war.
»So etwas? Eure Seele?«
»Zauberei«, antwortete Pia.
Farlan setzte sichtlich zu einer Antwort an, seufzte aber dann nur leise, und Pia ging langsam der Vorrat an wüsten Beleidigungen und noch wüsteren Beschimpfungen aus, mit denen sie sich selbst belegen konnte. Eigentlich müsste sie doch schon rein statistisch wenigstens einmal das Richtige sagen!
Sie sah wieder zur Pyramide, verfolgte die gewaltige Treppe, die von Ihrer Spitze bis auf den großen Platz herabführte und so eine Verlängerung der breiten Prachtstraße bis direkt in denHimmel hinauf bildete, mit Blicken und stellte fest, dass sie im Schatten lag und somit selbst für die schärfsten Augen unsichtbar war. Fast ohne darüber nachzudenken, machte sie einen Schritt und blieb dann wieder stehen, als ihr doch etwas einfiel.
»Begleitest du mich ein paar Schritte, Farlan?«, fragte sie. Der Schattenelb nickte, und Pia fügte rasch, wenn auch mit einem Lächeln hinzu: »Aber du darfst nicht erschrecken, ganz egal was passiert.«
Jetzt sah Farlan ein wenig verwirrt aus, signalisierte ihr aber trotzdem seine Zustimmung, und Pia machte eine Geste in Richtung der Pyramide und einen zweiten Schritt und dann noch einen dritten, mit dem sie in die Schatten trat. Farlans Augen wurden groß, und hätte sein Gesicht in der Nacht nicht ohnehin schon weiß ausgesehen, dann wäre es jetzt sicher noch blasser geworden. Aber er überwand seinen Schrecken beinahe sofort und ging mit ruhigen Schritten neben ihr her, obwohl er sie gar nicht sehen konnte. Wahrscheinlich hörte er ihre Schritte, obwohl sie sich große Mühe gab, lautlos aufzutreten. Aber auch die beiden Spione, die Kukulkan oben auf dem Dach postiert hatte, würden sie jetzt nicht mehr sehen, und das war im Moment wichtiger.
Erst als sie am Fuße der Pyramide angekommen und damit auch in der richtigen Welt für jeden in mehr als drei Schritten Entfernung unsichtbar war, trat sie wieder aus den Schatten heraus und sah Farlan an. Er wirkte immer noch ein wenig verwirrt, aber auf eine ganz andere Art, als sie erwartet hatte.
»So, Ihr glaubt also nicht an Zauberei«, sagte er.
Pia zog es
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