Elfenzorn
vor, gar nichts dazu zu sagen.
»Was tun wir hier?«, fragte Farlan, nachdem sie eine Weile einfach nur dagestanden hatten.
Die ehrliche Antwort auf diese Frage wäre wohl ein Achselzucken gewesen, doch stattdessen wandte sich Pia um und trat an einen der beiden steinernen Schlangenköpfe heran, die die Treppe flankierten. Er war deutlich größer, als sie ihn von Fotografien und aus dem Fernsehen in Erinnerung hatte, und anders alsdiese schien er auch aus einem einzigen riesigen Granitbrocken herausgemeißelt zu sein und musste zehn Tonnen wiegen, wenn nicht das Doppelte. Er wirkte auf eine fast unheimliche Art lebendig, als betrachtete sie kein uraltes Kunstwerk, sondern eine ins Absurde vergrößerte Schlange, die durch das Wirken eines unheimlichen Zaubers zu Stein geworden war. Der Gedanke war verrückt, aber zugleich auch so … erschreckend, dass sie all ihren Mut zusammennehmen musste, um die Hand auszustrecken und den schwarzen Stein zu berühren. Er war viel glatter, als sie erwartet hatte, und deutlich wärmer. Und da ... war etwas. Wenn sie die Augen schloss und in sich hineinlauschte, dann meinte sie fast so etwas wie eine Stimme zu hören; ein lautloses Flüstern in einer uralten Sprache, die sie nie gelernt hatte und trotzdem verstand.
Fast erschrocken hob sie nicht nur die Hand, sondern wich auch einen Schritt vor der versteinerten Schlange zurück. Vielleicht ein bisschen zu hastig, denn sie sah aus den Augenwinkeln, wie Farlan nicht nur zusammenfuhr, sondern auch die Hand auf das Schwert an seiner Seite senkte.
»Erhabene?«, fragte er alarmiert.
Pia machte eine rasche beruhigende Geste. »Es ist nichts. Ich wollte mich nur überzeugen, ob du recht hast.«
»Recht?«
»Dass dies ein verwunschener Ort ist.«
»Und Ihr spürt es auch.« Farlan nahm zögernd die Hand vom Schwertgriff, blieb aber angespannt. Sie konnte sehen, wie unwohl er sich hier fühlte. Beinahe so unwohl wie sie selbst.
»Natürlich nicht«, sagte sie. Selbstverständlich spürte sie es, aber das gestand sie ja nicht einmal sich selbst ein, geschweige denn ihm. Ein Ort, der ihrer Seele Schaden zufügte, passte nicht in ihr Verständnis der Welt, nicht einmal dieser. Sie war vollkommen anders als die, in der sie geboren und aufgewachsen war, aber sie gehorchte dennoch denselben Naturgesetzen, und wie hätte es auch anders sein können?
Die Geschichte dieser Welt war anders. Irgendwann hatte sich die Evolution hier in eine andere Richtung entwickelt, sodass es andere Arten von Lebewesen gab, Orks und Elben, Tiere und die grotesken Zwerge aus Ostengaard, das kleinwüchsige Volk von WeißWald und vermutlich noch zahllose andere und vielleicht noch absonderlichere Geschöpfe, die sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte ... aber letzten Endes war der Unterschied gar nicht so groß, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Die Geschichte dieser Welt war ein wenig anders verlaufen. Irgendwann hatte es einen Knick in der historischen Entwicklung gegeben, und die Bewohner der Elfenwelt hatten sich nicht der Wissenschaft und der Technik zugewandt, um ihre Welt möglichst schnell und mit erstaunlicher Effektivität zugrunde zu richten, sondern … anderen Dingen eben, mit denen sie sich zwar gegenseitig das Leben schwer machten, aber wenigstens den Rest der Natur mehr oder weniger unversehrt ließen.
Trotzdem waren die Parallelen deutlich größer als die Unterschiede. Wasser floss auch hier bergab, und Feuer war auch hier heiß. Ein Ort, der ihre Seele beschädigte? Das war lächerlich! So etwas wie wirkliche Magie war ihr auch hier bisher nicht begegnet.
Na gut, abgesehen davon vielleicht, dass sie sich unsichtbar machen konnte, und einem fliegenden Pferd, auf dem sie geritten war. Aber sie wollte schließlich nicht kleinlich sein.
»Erzähl mir von der Drakkensang , Farlan«, bat sie.
»Erhabene?«, sagte Farlan offensichtlich nur, um Zeit zu gewinnen. Aus irgendeinem Grund schien ihm ihre Frage unangenehm zu sein.
»Die Drakkensang «, wiederholte sie. »Das Schiff aus euren Mythen. Ihr habt gehofft, es hier zu finden, habe ich recht?«
Farlan antwortete auch jetzt erst nach einer geraumen Weile, aber immerhin tat er nicht mehr so, als begriffe er gar nicht, was sie überhaupt von ihm wollte. Schließlich deutete er sogar so etwas wie ein Nicken an.
»Was ist an diesem Schiff so Besonderes?«, fragte Pia. »Ich meine: Selbst wenn es tatsächlich noch existiert, dann ist es doch nur ein tausend Jahre altes
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