Elfenzorn
Stimmen, die aufgeregt durcheinanderredeten. Pia verstand nur ein paar Wortfetzen, aber es hörte sich nicht nach einer freundschaftlichen Unterhaltung an. Wahrscheinlich waren Landras und Eirann wieder einmal aneinandergeraten; etwas, was so regelmäßig passierte, dass es schon fast den Charakter eines Zeremoniells hatte. Schwert Torman hatte darauf bestanden, dass sein Stellvertreter das Heer begleitete, und das war nun wirklich keine gute Idee gewesen. Pia hatte nie eine entsprechende Frage gestellt, und es hatte auch niemand nur eine Andeutung in dieser Richtung gemacht, aber es war ganz klar, dass die beiden Schilde sich von früher kannten und ganz gewiss keine Freunde gewesen waren.
Als sie das Zelt betraten, änderte sich der Eindruck vollkommen, den man von seinem Äußeren bekommen konnte: Die vordere Hälfte war funktional und nüchtern eingerichtet. Es gab einen großen Tisch, den man für den Transport zerlegen konnte, etliche Sitzgelegenheiten und eine schwere Truhe, in der Kleider und andere Dinge des täglichen Bedarfs verstaut wurden. Darüber hinaus gabe es nur noch einen Ständer für EirannsRüstung und Waffen. Die rückwärtige Hälfte (von der Pia sicher war, dass Alica sie ganz bewusst nicht mit einem Vorhang abgetrennt hatte) wurde von einem gewaltigen Bett unter einem noch viel pompöseren Baldachin dominiert und glich darüber hinaus einem SM-Studio, dessen Domina eine Vorliebe für rosa Plüsch hatte. Alica eben.
Ganz wie sie es erwartet hatte, standen Eirann und Landras an dem großen Tisch und lieferten sich ein ebenso lautstarkes wie gestenreiches Wortgefecht. Darüber hinaus waren zwei Vertreter des Zwergvolkes anwesend (Pia kramte einen Moment lang in ihrem Gedächtnis und erinnerte sich schließlich an den Namen des einen, eines irgendwie verwachsen wirkenden Burschen mit einer riesigen Knollennase: Bogo Felsenhammer. Sie hatte nie gefragt, war aber sicher, dass Alica ihm diesen albernen Namen verpasst hatte), zu ihrer Überraschung aber auch ihre beiden Dienerinnen und Ixchel und eine grau gesichtige Gestalt, deren Anblick sie selbst nach all der Zeit noch mit einem sachten Unbehagen erfüllte: ein Sith.
Landras hielt kurz inne, als sie eintrat, maß sie mit einem Blick, der kaum weniger feindselig war als die, mit denen er Eirann in Grund und Boden zu starren versuchte, und fuhr dann unbekümmert fort, mit vor Zorn bebender Stimme auf den Schattenelb einzureden.
Schritte hinter ihr verrieten das Eintreten eines weiteren Besuchers. Pia sah kurz über die Schulter und stellte fest, dass es Jesus war, was sie sehr erleichterte. Immerhin war er nicht so eingeschnappt, dass er ihre Nähe mied.
Sie wartete ein paar Sekunden lang darauf, dass irgendjemand Notiz von ihr nahm, räusperte sich schließlich übertrieben und sagte: »Falls ich ungelegen komme, kann ich auch gerne wieder gehen. Ich möchte wirklich niemanden stören.«
Wäre die Situation auch nur ein wenig anders gewesen, hätte sie den Anblick vermutlich genossen: Sowohl Eirann als auch sein ungeliebter Bruder fuhren so erschrocken zusammen undherum, dass ihre Rüstungen hörbar schepperten, und der Zwerg hielt ganz eindeutig nach einem Mauseloch Ausschau, in das er sich verkriechen konnte. Einzig Ixchel zog zwar missbilligend die Augenbrauen hoch, sah sie aber ansonsten völlig ausdruckslos an.
Eirann machte einen halben Schritt zur Seite, sodass sie endlich sehen konnte, was auf dem Tisch lag und ihre vermeintlichen Verbündeten so interessierte.
Sie war nicht einmal wirklich überrascht ... aber bis ins Mark erschrocken.
Dabei sah die Kreatur nicht einmal halb so erschreckend aus, wie sie sie in Erinnerung hatte.
Zum einen lag das sicherlich daran, dass sie tot war, wie ihre weit aufgerissenen starren Augen und der grüne Schaum bewiesen, der aus ihrem Fledermausschnabel gelaufen war, zum anderen aber auch daran, dass sie tatsächlich ein gutes Stück kleiner war als die Fledermausvögel, die Flammenhuf und sie auf dem Hochplateau angegriffen hatten.
»Besuch?«, fragte sie. Als sie keine Antwort bekam, streckte sie die Hand aus und wollte nach dem toten Fledermausvogel greifen, aber Alica hielt sie mit einer raschen Bewegung zurück und stieß den Kadaver mit einem Messer an, sodass er auf die Seite rollte und Pia den winzigen federlosen Pfeil erkennen konnte, der aus seinem Nacken ragte.
»Das solltest du besser nicht anfassen«, sagte sie. »Es könnte deinem Teint schaden.«
»Curare?«, fragte Pia.
Alica
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