Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein

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sie sich sicher. »Verstehst du denn nicht?«
    »Nein«, antwortete Lion. Er fegte das Nadelkissen aus Blasrohrgeschossen mit seinem Schwert davon und ließ sich neben ihr auf ein Knie sinken. »Wir müssen weg hier! Wenn sie sich auf uns einschießen, haben wir keine Chance. Kannst du schwimmen?«
    Als ob das noch eine Rolle spielte! »Begreifst du denn nicht?«, fragte Pia. Ihre Hände begannen zu zittern, und Tränen füllten ihre Augen, als sie die ganze Ungeheuerlichkeit des Verrates begriff. War eigentlich ein einziges Wort wahr gewesen von allen, die sie seit ihrer Rückkehr in die Elfenwelt gehört hatte, auch nur ein einziges Wort?
    Dann sah sie in Lions Augen und schämte sich dieses Gedankens.
    »Was soll ich begreifen?«, fragte Lion verwirrt.
    »Spürst du es denn nicht?«
    Lion schüttelte den Kopf, und Pia machte eine Geste, die das gesamte Schiff einschloss. »Es ist dieses Schiff, Lion«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Die Drakkensang . Das war es, was sie von Anfang an wollten! Die Drakkensang ist mehr als ein altes Schiff ! Es ist der Quell ihrer Macht! Mit diesem Schiff sind sie unbesiegbar!«
    Lion blinzelte. Er schwieg, aber sie konnte das Begreifen sehen, das ganz langsam in seinen Augen heraufdämmerte; und das noch ungleich größere Entsetzen, das dieses Begreifen begleitete.
    »Und ich habe es ihnen zurückgebracht«, sagte sie bitter. »Das war alles, wofür sie mich je gebraucht haben.«
    Die Macht erwachte weiter. Etwas Ungeheuerliches nahm rings um sie herum Gestalt an, unsichtbar und unaufhaltsam, aber noch lange nicht zu seiner vollen Stärke erwacht. Und dennoch reichte bereits dieses wenige, um das Kriegsglück zu wenden. Pia musste nicht einmal hinsehen (und sie wollte es auch nicht, denn für ein einzelnes Leben hatte sie mehr als genug Tod und Blutvergießen gesehen), um zu wissen, dass es nun die Schattenelben waren, die wie der Zorn eines rachsüchtigen Gottes über ihre Gegner kamen, nicht nur beseelt von der Kraft eines Hasses, der so alt war wie ihr Volk, sondern auch von einer Magie, die älter war als die Welt; vielleicht älter als die Zeit selbst. Nichts, nichts konnte sie jetzt noch aufhalten. Sie würden Kukulkans Krieger besiegen und dieses Land erobern und dann vielleicht die ganze Welt, und das alles, all der Schrecken und das Leid und aller Tod und alles Blutvergießen, das damit einhergehen würde, war ganz allein ihre Schuld .
    Pia hob den Kopf und sah aus tränenverschleierten Augen nun doch zum Ufer hin, und ihr Blick begegnete dem eines schmalschultrigen Mannes in einem grünen Federmantel, der einen gewaltigen bunten Kopfschmuck aus Federn trug und sich auf einen knorrigen Stab stützte. Sie waren viel zu weit entfernt, um sein Gesicht zu erkennen, geschweige denn den Ausdruck inseinen Augen, aber sie wusste trotzdem, dass es Kukulkan war; und es war, als könnte sie seine Gedanken lesen oder doch zumindest spüren, was hinter seiner Stirn vorging. Und wie konnte er auch anders, als abgrundtiefen Hass zu empfinden, ging doch rings um ihn herum in diesem Moment sein gesamtes Volk zugrunde, zermalmt von den Heerscharen aus Elfenborg, deren Kraft die wiedererwachte Magie der Drakkensang verzehn-, wenn nicht verhundertfacht hatte?
    »Es tut mir so leid«, flüsterte sie.
    Natürlich war es Zufall; vollkommen unmöglich, dass Kukulkan sie gehört hatte, nicht über den apokalyptischen Lärm der Schlacht und die große Entfernung hinweg, und doch war es ihr, als reagierte er mit einem trotzigen Schürzen der Lippen auf ihre geflüsterten Worte und einem einzigen hasserfüllten Wort, das sie unmöglich verstehen konnte, dessen Bitterkeit sich aber wie glühender Stahl in ihre Seele brannte.
    »Was habe ich getan, Lion?«, flüsterte sie. »Was habe ich getan?!«
    Kukulkan hob seinen Stab, hielt ihn einen Moment lang reglos über den Kopf und ließ ihn dann mit einem Ruck wieder sinken. Zunächst geschah gar nichts. Dann ging etwas wie eine schwere, im Einzelnen kaum wahrnehmbare Bewegung durch Kukulkans gesamtes riesiges Heer, und ein Rumoren und Rascheln erscholl, wie von tausend schlagenden Vogelschwingen.
    Und dann schossen sie. Alle.
    Der Himmel verdunkelte sich, als Tausende und Abertausende Blasrohrpfeile aus Kukulkans Heer aufstiegen und sich zu einer schwarzen Wolke zusammenballten, die sich wie die Hand eines zornigen Riesen nach der Drakkensang ausstreckte.
    »O nein«, murmelte Lion neben ihr. Dann schrie er: »Nein! Pia! Duck dich!«
    Aber es war