Elfmeter fuer die Liebe
jetzt?“
Ich hob resigniert die Arme. Ich hatte keine Ahnung. Eines war jedenfalls klar: Fußball würde ich am nächsten Tag nicht spielen.
„Du musst“, erklärte er.
„Ich mache mich doch vor halb Europa nicht zum Deppen!“
„Fußball ist gar nicht so schwer“, insistierte er. Dazu konnte ich nur verbittert lachen und ihm von meinem katastrophalen Trainingstag erzählen. Dass Morgenrot mich nicht sofort aus der Mannschaft gekickt hatte, war noch alles. Nur Teflon und seine kleine Fieselei ließ ich unerwähnt. Darum sollte er sich selbst kümmern, sobald er wieder er war. Ich war ja nicht Jane Austen .
„Ich zeig dir ein paar Tricks, dann kriegst du das irgendwie schon hin.“
Aber was war, kreisten meine Gedanken, wenn alles so blieb? Wenn keine Auflösung in Sicht war? Wenn alles für immer so blieb? Ich war so damit beschäftigt, mir morbide Bilder auszumalen, wie ich Tobias’ Leben zerstörte (und er meines, auch wenn es da eigentlich nicht viel zu zerstören gab), dass ich auf die simpelste aller Fragen nicht kam, bis er sie aussprach. Der Mond war längst verschwunden, die ersten Sonnenstrahlen färbten den Horizont rosa. Er hatte mich stundenlang über den Trimm-dich-Pfad gejagt ; mir Pässe, Flanken, Torschüsse und Regeln erklärt. Sogar einen Ball hatte er aus dem Zeltlager geholt, damit ich schießen übte. Das Ergebnis war kümmerlich, wie nicht anders erwartet. Wenn ich nicht über meine eigenen Füße stolperte, fiel ich über den Ball.
Er schüttelte mir zum Abschied die Hand und, nachdem wir uns auch für die kommende Nacht verabredet hatten, fragte er plötzlich erstaunlich tiefsinnig: „Warum ist uns das eigentlich passiert?“
Ja, warum eigentlich?, dachte ich. Nicht wie oder wie lange; das war irrelevant. Warum? Warum gerade wir und gerade jetzt? Ein kosmischer Wink mit dem Zaunpfahl? Wieso? Eine Lektion? Welche?
Doch zu diesem Zeitpunkt hatte ich darauf ebensowenig eine Antwort wie er.
Kapitel 11 – Foul
Das erste Spiel der Europameisterschaft, Deutschland gegen den Gastgeber, fand in Le Havre statt. Die Feierlichkeiten waren stimmungsvoll, die Fans aufgekratzt , die Atmosphäre in ganz Europa friedlich fröhlich. Der Spielerbus kämpfte sich durch eine Meute Fans in verschiedenster Kostümierung, die überdreht sangen und Wimpel schwenkend schunkelten.
Es waren keine Kosten und Mühen gescheut worden – Ballettänzerinnen, die Mona Lisa darstellend, boten eine spektakuläre, von den Zuschauern jedoch nur am Rande wahrgenommene Show; gefolgt von den besten französischen Sängern und Sängerinnen, die in der Platzmitte ein Medley von „Les Miserable“ zum Besten gaben. Die Spieler genossen derweil in ihren Kabinen einen letzten Ruhemoment.
Der Anfeuerungsrede Morgenrots lauschte ich nur mit halbem Ohr – nicht, weil ich ihm keinen Respekt entgegenbrachte, oder die Rede für misslungen hielt, sondern weil sich in meinen Knochen das mir altbekannte Gefühl der alles lähmenden Panik breitmachte. Mannschaftssport, genau genommen jede Art von Sport außer Dauerbaden, war nicht meine starke Seite. In der Schule war ich stets die letzte gewesen, die mit einem ergebenen Seufzer in das Team gewählt wurde, das keine andere Wahl mehr hatte. Bereitwillig hatte ich mich bei als Spiel getarnten Folteraktionen wie Völkerball so früh wie möglich abwerfen lassen, um dann den Rest der Partie am Spielfeldrand zu verbringen. Beim Basketball erlitt ich regelmäßig Gehirnerschütterungen, beim Ausdruckstanz verknackste ich mir eine Rippe, beim Volleyball verhedderte ich mich im Netz und zog mir, bei dem Versuch mich zu befreien, einen Bänderriss zu. Sport war das einzige Fach, das mein ansonsten makelloses Zeugnis mit einem Ausreichend befleckte; ich war, so hatte es meine Lehrerin damals ausgedrückt, der schlimmste Fall von Bewegungslegasthenie, der ihr je untergekommen war und eine Gefahr nicht nur für mich selbst sondern vor allem für Andere. Harte aber korrekte Worte.
Auf ein Feld zu marschieren und unter den wachsamen Augen mehrerer tausend Zuschauer eine ganze Nation sportlich zu repräsentieren, stellte für mich die ultimative Strafe dar – Odysseus’ Irrfahrt war Kinderkram Angesichts des Szenarios, das mich vor der Kabinentür erwartete. Der Körpertausch musste eine Bestrafung sein, beschloss ich. Dafür, dass ich meinen Klassenkameradinnen neun Jahre lang den Sportunterricht vermiest und meine Lehrerin in nervöse Angstzustände versetzt hatte, wann
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