Elfmeter fuer die Liebe
betont) Cem Duygu.
Es gebe niemand anderen, erklärte ich ihm nun. Damit nahm ich mir zwar eine unerlaubte Freiheit heraus, schließlich kannte ich Tobias’ Motive nicht; aber es war einigermaßen klar (offensichtlich für jeden außer Tobias selbst), dass für keinen der beiden jemand anderes auch nur in Frage käme. Sehr vorsichtig formulierte ich das, in der Hoffnung, nicht zu weit zu gehen, nicht den Grundstein zu legen für eine Katastrophe.
Cem sank gequält auf meine Bettkante nieder, den Blick streng gesenkt haltend.
„So bescheuert und abgedroschen das auch klingt“, versuchte ich es ein letztes Mal, „aber du musst mir einfach noch ein bisschen Zeit geben. Geht das?“, fragte ich, obwohl ich es bezweifelte; es war nicht zu übersehen, dass mein Mannschaftskollege bereits emotional auf dem Zahnfleisch ging. Von griechischer Tragödie schlitterten wir schnell auf Rosamun d e Pilcher Terrain zu.
Sein Nicken kam sehr langsam. Es überzeugte mich nicht im Geringsten; aber es musste reichen. Ich widerstand dem Bedürfnis, ihn tröstend in den Arm zu nehmen – in diesem Fall eine gänzlich falsche Geste.
Das mitternächtliche Training verlief unkonzentriert meinerseits und ungeduldig seinerseits. Tobias wollte, dass ich in seinem Körper beim nächsten Spiel eine gute Figur abgab. Ich wollte nur mal wieder richtig ausschlafen – oder ein Bad nehmen. Und zwar alleine!
Ich ließ mich, schwer atmend, obwohl das Training mich weniger anstrengte als noch vor ein paar Tagen, unter einem Baum nieder. Ohne mich zu ermahnen, oder zum Weitermachen aufzufordern, hockte Tobias sich schweigend daneben.
In der Nacht sind die Dinge viel klar er, fast magisch gläsern – Grenzen verschwimmen, Tabus entziehen sich im Nebel der bewussten Sicht. Die Dunkelheit öffnet die Grenzen zum Kosmischen und plötzlich fühlen wir uns befreit vom menschlichen Alltag. Wir sind ganz Eins mit allem; mit Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart, mit Bewusstsein und Unbewusstsein, mit uns selbst und mit den anderen.
Aus dieser Stimmung heraus wollte ich von Tobias wissen, was überhaupt vorgefallen war zwischen ihm und Cem.
Er gab lange keine Antwort, doch meinem ungeduldigen Wesen zum Trotz ließ ich ihm Zeit.
„Es gibt keine schwulen Fußballer“, sagte er vorsichtig nach einer Weile. Es klang wie eine auswendig gelernte Vokabeldefinition.
Das war mit Abstand die lächerlichste Aussage, die mir je untergekommen war; das sagte ich ihm auch genau so.
Erneutes Schweigen seinerseits. Diesmal hielt es länger, als dächte er zum ersten Mal richtig darüber nach.
„Nikola hat gesagt…“ Er betonte jede Silbe gleich, als fürchtete er sich, die Worte falsch wiederzugeben oder fehl zu interpretieren. „Nikola hat gesagt, dass, wenn so was rauskommt, man dann angegriffen wird. Und nicht nur die Spieler, sondern die ganze Mannschaft. Der ganze… naja, der ganze Fußball. Sagt Nikola.“
„Toll“, konnte ich mir einen sarkastischen Kommentar nicht verkneifen. „Super. Am besten führen wir wieder rosa Dreiecke ein, damit die Restbevölkerung sich von euch fernhalten kann!“
Unterhaltungen mit Tobias waren von vielen Gesprächspausen geprägt, in denen er nachdachte oder Gesagtes verdaute. Mittlerweile war ich daran gewöhnt. Ihm die Zeit, die er brauchte, zu geben, wurde immer weniger zu einer tantalischen Qual.
„Ich möchte alles richtig machen“, sagte er ein paar Minuten später.
Alles richtig machen – tja, das kann eh keiner. Man kann nur versuchen, es sich selbst so recht wie möglich zu machen und aufpassen, dass dabei niemand zu Schaden kommt. Mehr hatte ich zu dem Thema dann allerdings auch nicht zu sagen. Ob Cem ihm wichtig genug war, den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen und eine Auseinandersetzung mit Teflon zu provozieren, musste Tobias mit sich selbst ausmachen. Letzten Endes müssen wir alle unsere Entscheidungen alleine treffen.
„Die paar Schluhus, die auf so ein Outing heutzutage tatsächlich noch negativ reagieren“, war mein letzter Satz zu diesem Thema, „die sind es doch nicht wert, sich darüber unglücklich zu machen.“
Dann ließ ich ihn mit der aufgehenden Sonne alleine.
Ich hätte mir natürlich denken können, dass ich so einfach nicht davonkam – wenn ich es noch ins Bett geschafft hätte, hätte ich noch fast zwei Stunden schlafen können; war ja klar, dass das Leben mir da noch reinpfeifen musste: Ich hatte die Hintertür der Pension kaum hinter mir ins Schloss
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