Elfmeter fuer die Liebe
immer ich einen Ball in die Hand gedrückt bekam.
Ich hatte Glück im Unglück; Glück für mich, Glück für meine Mannschaft, Unglück für Tobias Weizenfelds Ruf. Drei Minuten nach dem Anpfiff stieß ich mit einem Spieler der Gegenmannschaft zusammen, sank , einem Felsbrocken gleich , laut schreiend auf den Rasen und blieb einfach liegen. Die Schmerzen waren unglaublich. Die Sanitäter trugen mich vom Feld, Raphael wurde für mich eingewechselt und ich durfte das verbleibende Spiel mit blutender Nase von der Ersatzbank aus verfolgen. Wenn mich nicht alles täuschte, kochte Teflon vor Wut. Dieser Tag hatte also wenigstens einen Treffer zu verzeichnen, freute sich der Teil von mir, der beschlossen hatte , Nikola Teflon persönlich zu verabscheuen; dafür, dass er es geschafft hatte, Cem in letzter Minute aus der Aufstellung für dieses Spiel zu nehmen.
Das Spiel ging unentschieden aus und ich lernte, dass das in der Vorrunde einer Europameisterschaft ein durchaus akzeptables Ergebnis war, vor allem, wurde ich aufgeklärt, wenn es sich um einen so mächtigen Gegner wie Frankreich handelte, gegen den selbst eine Niederlage keine Schande gewesen wäre.
Die nächsten Tage vergingen wie türkischer Honig. Nachts trainierte ich mit Tobias, tagsüber schleppte ich mich, mittlerweile mit einem angeknacksten Fuß, so dass ich vom Spielen zunächst befreit war, von Mannschaftsbesprechung zu Spiel zu Mannschaftsbesprechung. Deutschland gewann die nächsten beiden Vorrundenspiele ohne mich - plötzlich standen wir im Viertelfinale, ein Ergebnis über das sich ausgiebig gefreut wurde. Da ich nicht mitspielen konnte, half ich in anderen Bereichen so gut ich konnte aus. Wie sich herausstellte, war ich im theoretischen Teil nicht schlecht; bei Besprechungen und Auswertungen der Gegner konnte ich schnell mitreden. Das Ganze begann mir sogar, nun, da ich unter dem Schutz unseres persönlichen Arztes stand, einigermaßen Spaß zu machen.
„Lampionsturm“ geriet in Vergessenheit. Manchmal erinnerte ich mich zwischen Training und Videospielturnier an meine immer noch einsam auf einem Felsen hockende Protagonistin, doch der Gedanke verblasste schnell wieder, ohne mir schlaflose Nächte zu bereiten.
„Beim nächsten Spiel sind Sie wieder einsatzbereit“, zerstörte Doktor Frühling eines Morgens jäh meine so hart gewonnene Selbstsicherheit.
Ich saß im Krankenzimmer unserer Pension, mein lädierter Knöchel in Frühlings Händen.
„Sind Sie sicher?“, hakte ich nach. „Ich möchte nichts überstürzen.“
Frühlings Frohgemut war kein Abbruch zu tun: „Ganz sicher. Übermorgen können Sie gegen Portugal wieder auf dem Platz stehen. Keine Gefahr.“
Das ließ sich so einfach sagen. Keine Gefahr. Für ihn persönlich vielleicht nicht; für einundzwanzig andere Spieler auf dem Feld schon!
Zu allem Überfluss lauerte mir danach auch noch Cem auf, der offenbar vor meiner Zimmertür auf mich gewartet hatte. Er sah nicht glücklich aus; ein untypisches Stirnrunzeln zierte seine Mimik. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das ganze Cem-Tobias-Debakel schlichtweg verdrängt. Es war schlimm genug, dass ich überall sonst eine so jämmerliche Figur abgab, ich wollte mich nicht auch noch in fremder Leute Privatleben einmischen und für Unruhe sorgen. Cem hatte mein Versprechen, wir würden schon noch miteinander reden, hingenommen und das Thema erstmal nicht wieder angesprochen.
Bis jetzt.
„Ich war gestern Nacht hier“, begann er, kaum dass ich meine Zimmertür hinter uns geschlossen hatte. Er kam auch sofort zum Punkt: „Wo warst du denn?“
Ich ignorierte seine Frage. Statt dessen schoss ich zurück, nicht minder anklagend: „Du warst in meinem Zimmer?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich wollte mit dir reden.“
„Mitten in der Nacht?“
Er warf die Arme in einer Geste der Verzweiflung in die Höhe: „Ja, tagsüber geht ja schlecht!“
Da hatte er natürlich auch wieder recht. Ich schwieg.
„Also. Wo warst du?“
Ich seufzte ergeben. Es war eine lange, komplizierte, verrückte, unbegreifliche Geschichte.
„Na toll, ich wusste es!“, rief er theatralisch aus.
Und dann erklärte er mir lang und breit, mit dünner Stimme, er habe sich schon gedacht, dass ich jemand anderen hätte und dies sei nur die Bestätigung. Meine Optionen waren beschränkt, um nicht zu sagen nicht vorhanden. Tobias hatte mir das Versprechen abgenommen, niemanden in unsere Situation einzuweihen, schon garnicht (das hatte er viermal
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