Elfmeter fuer die Liebe
in meinen eigenen, schmerzlich vermissten Körper zurückgelangen, wenn der am anderen Ende Frankreichs in einem schwarz-rot-gelb bepinselten Viererzelt deutsche Tore feierte?
Um meine Sorgen zum Schweigen zu bringen, schaufelte ich vier Schüsselchen Mousse au Chocolat in mich hinein, das es zur Feier des Tages zum Nachtisch gab. Danach war mir natürlich übel und ich musste mich zurückziehen, gerade als Cem um die Ecke geschlichen kam, mit einem Gesichtsausdruck der sehr nach geprügeltem Hamster aussah. Darum konnte ich mich allerdings in dem Moment nicht kümmern – ich hatte so in meinem kleinen Tagestriumph gebadet, dass ich mich in dem Festmenü geradezu gesuhlt hatte. Noch stundenlang lag ich wach; mein rumorender Magen zeigte weder Verständnis noch Empathie.
Es war etwa zwei, als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, mich wieder bewegen zu können. Und mit den Regungen meiner Gliedmaßen kurbelte sich auch mein Gewissen wieder an. Zum ersten Mal in den letzten Tagen dümpelten meine Gedanken zurück in mein eigenes Leben, das ich so schmählich hinter mir gelassen hatte. Was wohl Holly gerade tat? Vermisste sie mich sehr? Oder feierte sie sturmfrei mit ihrem neuen Hausfreund? Und meine lampionbestürmte Heldin auf dem Felsen hatte vermutlich schon graue Haare bekommen. Für einen Augenblick fiel mir nicht mehr ein, warum ich sie in die Steinwüste verbannt hatte, aus der ich sie jetzt nicht mehr plausibel herausschreiben konnte. Die ganze Geschichte, der liebevoll konstruierte Plot meines heiß erwarteten Romans, erschien mir angesichts des prallen Lebens, mit dem ich seit einigen Tagen konfrontiert war, schrecklich nichtig und, in Ermangelung eines besseren Adjektivs, kunstseiden. Verhielten sich echte Menschen überhaupt so, wie ich es mir ausgemalt hatte? Meine Heldin wurde von ihrem Geliebten betrogen und schlich sich klammheimlich auf einen Berg im Niemandsland, um dem Vergangenen hinterher zu trauern. Wer machte denn so etwas eigentlich? Tobias sicherlich nicht, der würde den Geliebten vielmehr in seiner treuen, ehrlichen Art nach dem Grund fragen. Morten würde ihm eine Ohrfe ige geben, die sich gewaschen hä tte. Leander bekäme einen Wutanfall, und Max bräche vermutlich in Tränen aus. Sogar Peter Morgenrot, der sanftmütigste Mensch dem ich je begegnet war, hätte in einer solchen Situation wohl klar Schiff gemacht. Nur ich, die ich mich seit Monaten – nein, ehrlich gesagt schon seit Jahren – dem Leben verschlossen hatte, würde auf die verklemmte Idee kommen, mit meiner Existenz zu hadern. War ich vielleicht sogar deswegen verlassen worden? War meine totale Ablehnung der Welt der Grund gewesen, warum ich an diesem Morgen vor so langer Zeit alleine vor dem Standesbeamten gestanden hatte? Vielleicht hatte mein Verlobter ja sogar recht gehabt, mich zu verlassen. Vielleicht hatte auch mein Protagonist recht gehabt, als er seine Verlobte betrog.
Ich wollte der Nachttischlampe ein Interview geben, in dem ich die Beweggründe meiner Protagonistin, ja, meine eigenen Beweggründe für meine Entscheidung, anbringen und verteidigen wollte – nur fiel mir nichts ein. Ich konnte mich nicht einmal mehr an den Tag erinnern, an dem ich beschlossen hatte, ein Eremitendasein zu führen, geschweige denn an die Gründe. Es gab im Moment ohnehin Wichtigeres als einsame Romanheldinnen-Schrägstrich-Schriftstellerinnen in der Sinnkrise und das war eine ganze Mannschaft in der Fußballkrise! Vergangenes, befahl ich mir selbst, musste für den Augenblick Vergangenes bleiben; es wartete die Gegenwart auf mich und die musste ich beim Schopfe packen. Denn es ging hier um echte Leben, um echte Menschen , und die saßen nicht emotional angeknackst auf Felsen herum. Die schrieen und wüteten und klopften nachts an ihrer Geliebten Zimmertür, wenn ihnen etwas nicht passte.
Mit Mühe und unter großen Schmerzen wälzte ich Tobias’ vom Essen aufgeblähten Körper aus dem Bett. Es nutzte ja nichts, ich musste ja doch noch mal raus. Vielleicht war es möglich, Tobia s heimlich im Gepäckfach unseres Reisebusses mitzuschmuggeln. Den Wagenheber hatte ja auch tagelang niemand gefunden, Verstecke gab es sicherlich genügend. Zu meiner Verteidigung musste ich selbst anmerken, dass einem nachts die dümmsten Pläne wie Geniestreiche des eigenen Geistes vorkommen; ich hielt es für einige Minuten lang durchaus für plausibel, einen erwachsenen Menschen mehrere Stunden lang im Kofferraum eines
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