Elfmeter fuer die Liebe
Paparazzi den Bus anheben, damit der Reifen gewechselt werden konnte – wenigstens war da an Pannen gedacht worden und ein Ersatzteil vorhanden. Später stellte sich heraus, dass es sehr wohl einen Wagenheber gegeben hätte; allerdings lag der so unglücklich unter Raphaels Game Boy Spielen begraben, dass er unmöglich hätte gefunden werden können.
Cem sprach nicht mit mir – er war der festen Überzeugung, Tobias habe entweder jemand anderen, oder sei so eingeschüchtert vom Außendruck, dass er sich für immer von ihm abge wandt habe. Und Leander trieb mich an den Rand der Verzweiflung, als er mich auf dem Weg in die Kabine fragte, wie man Contenance schriebe, und ich zähneknirschend vorgeben musste, es nicht zu wissen. Ich hatte Tobias schon viel zu sehr in die Bredou i lle manövriert – vermutlich würde er noch das ganze Buch Korrekturlesen müssen, falls es jemals fertig gestellt würde. Vor meinem inneren Auge sah ich ihn mit mehrsilbigen Wörtern kämpfen und verlieren. Das hatten weder er noch Leanders Memoiren verdient.
Das Spiel gewannen wir wie durch Zauberhand trotz meiner Anwesenheit auf dem Platz mit Drei zu Zwei. Ich handelte mir allerdings eine Verwarnung ein, als ich in einer heimtückischen Racheaktion Bruce Kent auf die Füße sprang, der mir kurz vorher in stürmischer Rüpelmanier ungestraft ein Bein hatte stellen können. Ganze zweimal hatte ich Ballkontakt; einmal fiel ich ungalant auf das Leder, das nur aus Nostalgie noch so genannt wurde, beim zweiten Mal traf mein Fuß in der vorletzten Minute mehr oder weniger versehentlich und beförderte das Rund ins Aus, was uns allerdings eine Ecke einbrachte. Glücklicherweise sah das Ganze gewollt aus, und glücklicherweise führte eben jene Ecke zu unserem dritten Tor, das Raphael mit dem Kopf erzielte. Und damit war Deutschland im Halbfinale und der einzige, der darüber nicht in ekstatischen Freudentaumel geriet, war Nikola Teflon, der mal wieder so aussah, als hätte man ihn gezwungen eine unreife Zitrone zu essen. Die gesamte Busfahrt schaffte er es, verbissen aus dem Fenster zu starren, während um ihn der Baum so was von brannte, dass der Busfahrer sich dazu verpflichtet fühlte, zwischendurch anzuhalten und uns zur Ruhe zu pfeifen. Er könne nicht fahren, rief er verzweifelt, wenn im Mittelgang gehopst würde , und der nächste, der „Football’s coming home“ intonierte, könne zu Fuß zur Pension laufen.
Wer sich nicht so recht zur Ausgelassenheit hinreißen lassen wollte, war Brauhaus, der, zwar zufrieden dreinblickend , aber doch mit einer ihm ansehbaren Gemütsschwere auf seinem Platz sitzen blieb. Pflichtbewusst klatschte er jeden ab, der an ihm vorbeiging, lachte, tätschelte Schultern und klopfte Rücken. Vermutlich war er mit seinen Gedanken bereits beim nächsten Spiel. Der Gegner stand noch nicht fest; das morgige Match würde entscheiden, ob wir gegen Kroatien oder Italien spielten. Kroatien oder Italien. Das klopfte an eine Erinnerungsschublade…
Mir fiel siedendheiß Teflons Telefongespräch ein. Kroatien würde in Führung gehen, hatte er versprochen, und irgendwas von ausbügeln. Mittlerweile traute ich dem Mann alles zu; sogar abgesprochene Fußballpartien. Die Frage war, ob es nur um abgekartete Spiele ging, oder um mehr. Um Wetten zum Beispiel. Die andere Frage war, wie weit der Co-Trainer in der Sache drin steckte – ein kleines Glühwürmchen am Ende der Geldkette, oder Vizepräsident der ganzen Operation? Befehlsausführer oder Chefansager?
„Morgen wechseln wir das Hotel. Wir fahren früh los nach Toulon“, strahlte Morgenrot beim Abendessen im „Chez Zizou“. „Und übermorgen habt ihr einen freien Tag.“
Das große Gejubel brach erst aus, als ich Tim Nie (Verteidigung), der mich beim Essen links flankierte, steckte, dass Toulon am Meer lag und er laut brüllte: „Beachparty!“
Seit wir in Paris angekommen waren, gab es zwar für jeden immer mal wieder eine Auszeit, trotzdem war jeder Tag von Trainingseinheiten, Besprechungen und Spielanalysen durchzogen. Ein ganzer freier Tag für alle, und das auch noch am Strand, hörte sich geradezu nach Fantasyroman an. Mein Gehirn erlaubte mir fünf volle Sekunden Glücksgefühl, ehe es der Panik das übliche Hintertürchen öffnete: Wir verließen die Pension! Hinter der Pension campierte der echte Tobias Weizenfeld. Wir würden ihn zurücklassen! Unser Mondscheintraining konnte ich dann vergessen – und überhaupt!, wie sollte ich jemals wieder
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