Elia Contini 03 - Das Verschwinden
allerdings, dass Enzo die Absicht gehabt hatte, die Betroffenen zur Rede zu stellen.
Aber er konnte es nicht mehr, dachte Sonia. Also muss ich es machen.
Viele der Namen, die in diesen Unterlagen auftauchten, waren ihr bekannt. Der eine oder andere war eine Überraschung: Das waren Personen, denen sie den Verkehr in Nachtclubs nie zugetraut hätte. Sie musste sehr vorsichtig sein, damit sie nicht völlig Unbeteiligte in den Schmutz zog.
Sie ging zum Kühlschrank und schenkte sich ein Glas Eistee ein. Dann nahm sie sich, bewaffnet mit einem Notizblock, noch einmal die gesamte Dokumentation vor, die ihr Mann zusammengetragen hatte. Wenn sie die Fakten übersichtlich aufschrieb, zeigte sich ja vielleicht, was da im Tukan vor sich ging und vor allem wer wirklich involviert war.
In einer Ecke stand eine Jukebox.
Natürlich funktionierte sie nicht. Aber sie war ein Original, ein Sammlerstück, eine Wurlitzer Model 800 Bubble Lite, die Savi von einem alten Kunden übernommen hatte. Noch vor dem Umzug nach Castione. Früher befand sich das Tukan in Melano, im Sottoceneri, aber nach einem Streit mit der Firma, die ihm Grundstück und Gebäude vermietete, hatte sich Savi nach einem neuen Geschäftslokal umsehen müssen.
Die Jukebox war mit umgezogen, und jetzt war sie eine von unten beleuchtete chromblitzende Zierde seines Ladens. Die Mitte des Lokals bildete eine runde Tanzfläche, auf der einige Paare zugange waren. Neben dem Tresen befand sich eine kleine Bühne mit geschlossenem Vorhang, und ringsum scharten sich, mit Geländern abgetrennt, kleine erhöhte Inseln mit Tischchen und Stühlen. Die höchste war die »VIP-Zone« direkt neben Savis Privatbereich.
»Gestatten?«
Ein dunkelhäutiges Mädchen hatte den Vorhang vor Savis Séparée beiseitegeschoben und spähte herein. Savi blickte mit gerunzelter Stirn auf.
»Kate«, sagte er. »Setz dich. Ich muss mit dir reden.«
Das Mädchen steckte in einem hautengen Body, der ihren Busen wider die Schwerkraft emporquetschte, und trug schwindelerregende Bleistiftabsätze und ein Handtäschchen, das gerade groß genug für einen Lippenstift und ein Mobiltelefon war. Unter schweren Lidern blitzten zwei schwarze, wachsame Augen hervor. Das Mädchen bewegte sich träge, neigte den Kopf nie mehr als nötig.
»Ist irgendwas?«
Savis Daumen flog tippend über die Tasten seines Mobiltelefons, und er sprach mit ihr, ohne aufzublicken. »Setz dich«, forderte er sie auf. »Ist dir ein gewisser Enzo Rocchi bekannt?«
»Enzo wie?«
»Seit wann kennst du ihn?«
»Ich …«
»Kate.«
»Mann, ich treffe hier jede Menge Leute! Wie soll ich noch wissen, wer …«
»Kate, du hast diesen Arzt, diesen Rocchi, getroffen. Was weiß ich, was du dir dabei gedacht hast. Was hast du ihm erzählt?«
»Aber es ist wahr, Signor Savi, ich schwöre dir, dass ich mich nicht erinnere! Wie sieht er aus, der Mann?«
Savi schob sein Telefon von sich und stand auf. Er legte Kate beide Hände auf die Schultern und zwang sie, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. Hinter dem Vorhang seines Séparées wogte die Geräuschkulisse des Tukan – Ambient-Musik aus den Boxen, Gläserklirren, hier und dort Gelächter.
»Jemand hat dich auf merkwürdige Ideen gebracht, und ich weiß nicht, wer und wozu. Habe ich dich etwa nicht immer gut behandelt?«
»Ich weiß nicht, was …«
»Antworte! Habe ich dich gut behandelt oder nicht?«
»Doch, ja.«
»Aber jetzt sind die fetten Jahre vorbei. Jetzt gehst du nach Hause zurück.«
»Wie bitte? Wieso denn? Was habe ich …«
»Pst.«
Savi beugte sich vor, bis sein Mund Kates Lippen streifte, wich dann aus und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Pst«, wiederholte er. »Kein Wort zu irgendwem. Darum kümmere ich mich alleine.«
Mit der Hand an ihrem Ellenbogen nötigte er sie zum Aufstehen und führte sie ins Lokal hinaus. Von den farbigen Scheinwerfern abwechselnd ausgeleuchtet und ausgeblendet, durchquerte Kate den Saal. Sie wirkte leicht desorientiert. Sie stieg die Stufen zur Bühne hinaus und verschwand hinter dem Vorhang.
Savi betrachtete eine Weile sein Lokal.
Das Tukan by night . Ein Ort, an dem das Amüsement noch einen gewissen Stil hatte. Selbstverständlich wurde nicht jeder eingelassen. Hunde und Schweine hatten keinen Zutritt – schließlich galt es einen Ruf zu wahren. Für eine Nacht im Tukan musste man ein ganzer Kerl sein, einer, der das Beste will und sich’s was kosten lässt. Das Tukan by night . Ein Mordsspaß.
Aber es gab
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