Elia Contini 03 - Das Verschwinden
auf eine respektable Fassade legt.
»Aber als Externer werde ich natürlich nicht eingeweiht. Das heißt, eines Abends kommt Savi zu mir und sagt: Es ist was passiert. Ich sage: Was? Und er: Du kannst nach Haus gehen.«
Esposito schwieg, und seine Miene besagte, dass er nichts hinzuzufügen hatte.
»Und, bist du nach Hause gegangen?«, fragte De Marchi.
»Nicht gleich. Vorher war ich oben, wo die Mädchen ihre Zimmer haben … das heißt, wo sie sich nach ihrem Auftritt ausruhen, wenn …«
»Versteh schon, red weiter.«
»Jedenfalls hab ich gesehen, dass jemand ein Mädchen misshandelt hat, eine gewisse Vicky. Ich habe sie schreien und weinen hören, und dann taucht Savi auf und schreit mich an: Hab ich dir nicht gesagt, du sollst abmarschieren? Also bin ich abmarschiert.«
Ende der Geschichte. Der Kommissär bohrte noch eine Viertelstunde weiter, einfach der Ordnung halber, denn Esposito war der ergiebigste Zeuge, aber gesehen im eigentlichen Sinn hatte er nichts. Ansonsten waren die Ergebnisse seiner Befragungen nur ungenaue Angaben, Gerüchte, sogar ein paar schlichtweg erfundene Geschichten. Und diese Vicky schien vom Erdboden verschwunden. Falscher Name, falsche Dokumente, immer die gleiche Geschichte.
Es besteht kein Zweifel, sagte der Staatsanwalt. Savis Selbstmord setzte den Spekulationen ein Ende, jetzt galt es, Beweise zusammenzutragen, die vor Gericht Bestand hatten. Aber De Marchi hatte zu viele Fragen, auf die ihm niemand eine Antwort gab.
Wahrscheinlich war die Wahrheit in dieser Dokumentation zu finden, die Rocchi zusammengestellt hatte und die seine Tochter – das behauptete sie jedenfalls – im Wald hatte verschwinden lassen. Bestimmt nicht in der Aussage von Alan Esposito. Bescheid gewusst hatten – vielleicht – die Eheleute Rocchi, mit Sicherheit aber Peter Mankell und Luciano Savi. Und alle waren tot.
Es war eine kleine Füchsin. Sie ging vorsichtig, es war eines der ersten Male, dass sie sich allein in die Welt hinauswagte, abseits der Lichtung, an deren Rand sie aufgewachsen war und wo die Sicherheit des Baus mit seinen vielen Ausgängen war. Contini beobachtete sie eine Weile durchs Fernglas und versuchte dann, sich ihr in einem großen Bogen zu nähern.
Auf halber Höhe eines Abhangs, eines mit Haselsträuchern und Grasbüscheln übersäten Geländes, war das Füchslein erstarrt. Es dürfte etwa vier Monate alt sein, schätzte Contini, das richtige Alter, um erwachsen zu werden. Wahrscheinlich hatte es eine Beute gewittert oder irgendeine unterirdische Bewegung wahrgenommen.
Normalerweise jagen Füchse des Nachts, aber die Jugend ist eben ungeduldig. Contini zoomte die Füchsin näher: Er wollte bereit sein, wenn sie zum Beutesprung ansetzte. Er sammelte sich; konzentrierte sich auf die Bewegungen des Tiers und die eigene Reglosigkeit und versuchte seinen Geist leer zu machen.
Doch seine Gedanken gingen eigene Wege. Welche Erinnerungen Natalia in Corvesco wohl wiederfinden, welche Wege sie und Giovanni gehen würden? War es richtig, die beiden allein losziehen zu lassen? Andererseits hätte ihnen die Anwesenheit eines Erwachsenen wohl wenig behagt.
Die Füchsin schlich in Zeitlupe dahin. Dann erstarrte sie wieder, eine Pfote erhoben und die Schnauze in der Luft. Bereit zum Sprung. Contini nahm an, dass sie ein bisschen Theater spielte, die Gesten der Mutter imitierte. Ein Angriff um diese Zeit war ein wenig aussichtsreiches Unterfangen: Nachmittags schlafen Maulwürfe und lassen sich nicht von Fuchswelpen fangen.
Contini zielte mit der Kamera. Die Füchsin stand wie erstarrt. Der Wind raschelte im Wald und versetzte die höchsten Wipfel in Bewegung. Rechter Hand war eine Wasserrinne, die zum Tresalti führte, links weitete sich die Landschaft zum Hügel hin. Auf diesem Hügel stand die kleine Füchsin.
Der Blitz erfolgte im Moment des Abdrückens. Contini nahm eine Bewegung wahr, die Füchsin schoss nach vorn und landete mit Schnauze und Pfoten neben einem Erdhaufen. Aber vergebens, sie hatte nichts gefangen. Der Maulwurf war verschwunden – hatte nur kurz die Schnauze ins Licht gereckt und sich auf der Stelle wieder zurückgezogen. Das Füchslein leckte sich mit verlegener Miene eine Pfote. Und Contini kauerte immer noch im Gras, den Zeigefinger auf dem Auslöser. Er hatte das Foto nicht gemacht, denn im Augenblick des Sprungs hatte ihn, aus heiterem Himmel, eine Erkenntnis überfallen.
Schweigen und Verzug. Natalia, die nicht erzählen kann, was passiert ist, und der
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