Elia Contini 03 - Das Verschwinden
den Anwalt fragen, deinen Vormund?«
»Mach ich. Aber kannst du denn sofort weg?«
»Vielleicht … ich frage. Ich muss auch mit meinem Vater reden. Aber warum ist es so eilig?«
»Ich weiß nicht.« Natalia verstummte, suchte die richtigen Worte. »Ist nur so ein Gefühl. Irgendwie kann ich nicht mehr warten. Ich muss jetzt endlich Klarheit haben, verstehst du?«
6
Ein schlaues Füchslein
Contini wartete. Kate war geflüchtet, Francesca ließ nichts von sich hören, das Intermezzo bei der Zeitung lag hinter ihm. Vorläufig hatte er nichts anderes zu tun, als mit dem grauen Kater auf der Veranda herumzuhängen. Oder eine Runde durch den Wald zu drehen.
Besser eine Runde im Wald.
Im Grunde war alles, was ihm passiert war, der ideale Anlass für einen Neuanfang. Er zog seine Fuchsklamotten an, steckte die Kamera ein und machte sich auf den Weg. Ein Mann allein mit sich, im Dickicht des Waldes und auf ansteigenden Gebirgswiesen, durch das windgebügelte Gras: Es war der richtige Augenblick, um zum Wesentlichen zurückzukehren. Ich bin hier, dachte Contini, jetzt. Wo ist ein Problem?
Es war, wie immer, das Telefon.
»Tschau, störe ich?«
Natalia.
»Nein. Hast du meine Nachricht gehört?«
»Ja.« Natalia zögerte. »Nach dem, was du gesagt hast, habe ich meine Meinung geändert.«
»Willst du’s noch mal versuchen? Nach Corvesco kommen?«
»Ja.«
»Wann?«
Der ungeduldige Detektiv. Die Geschichte war also doch noch nicht zu Ende. Wahrscheinlich würde Natalia hier nichts finden, aber wenn der alte Jonas Recht hatte, bestand zumindest eine Möglichkeit …
»Ich sag dir Bescheid«, antwortete Natalia. »Ich habe Giovanni gefragt, ob er mich begleitet, und sein Vater fährt uns.«
»Soll ich mitkommen?«
Der schnüffelnde Detektiv. Natalia überlegte sekundenlang. »Wir drehen erst selber eine Runde, dann ruf ich dich an.«
»Also sehen wir uns später. Aber geht lieber nicht zu tief in den Wald.«
Der väterlich besorgte Detektiv.
»Ja, gut«, sagte Natalia. »Bis nachher.«
»Ich war nicht dabei.«
»Wo waren Sie nicht dabei?«
»Bei der Prügelei.«
»Bei welcher Prügelei?«
»Weiß nicht. Als sie die Frau zusammengeschlagen haben.«
»Welche Frau? Wer?«
»Das weiß ich eben nicht, Herr Kommissär, ich war doch nicht dabei.«
Zuhälter, Sängerinnen, Fotografen mit ausweichendem Blick, gescheiterte Boxer und betagte Mädchen: De Marchi hatte in rascher Folge eine ganze Schar von Personen aus dem Milieu befragt. Sie waren das Unterholz, das rund um das Tukan und andere Tessiner Nachtclubs wuchs; in diesen Kreisen wurde nur halblaut gesprochen, und alles bedeutete immer mindestens zweierlei.
Erst wollte er es bleiben lassen – wozu die Zeit mit der Suche nach einer zwielichtigen Verbindung zwischen Savi und Mankell verschwenden? Wie der Staatsanwalt sagte: Sie werden Mankell dafür bezahlt haben, dass er ein paar Gesundheitszeugnisse unterschreibt. Aber dann erwähnte dieser Security-Mensch eine Prügelei im Tukan, einen offensichtlich brutalen sadistischen Akt, den Savi mit Mankells Hilfe vertuscht habe.
Leider gab es keine Beweise und keine Zeugen.
»Commissario, wir sind doch quasi Kollegen. Sprich, maximaler Respekt, oder?«
Vor De Marchi saß ein Muskelberg, der mit jeder Bewegung den Stuhl zum Ächzen brachte. Der Kommissär konnte ihn sich nicht mit Securitas-Uniform vorstellen. Sehr deutlich hingegen sah er ihn als schwarz gekleideten Schläger, der zahlungsunwillige Bordellkunden fäustlings zur Räson brachte.
»Na klar. Kollegen.«
De Marchi schob mit dem Zeigefinger sein Feuerzeug auf dem Schreibtisch herum. Er war müde, grenzenlos, und wurde immer müder.
»Jemand hat Ihnen von einer Handgreiflichkeit erzählt. Ich will wissen, wer.«
Der Muskelberg, der sich Alan Esposito nannte, zuckte die Schultern.
»Niemand hat es erzählt . Es kommt immer wieder mal vor, dass ein Kunde ausflippt, und nachher schämt er sich. Ist nix Neues.«
»Er flippt aus?«
»Was weiß ich – ich hab’s mir halt so zusammengereimt. Savi wollte keine Skandale. Das sag ich Ihnen, weil wir zwei schließlich vom Fach sind.«
»Na gut.« De Marchis Hand schloss sich um das Feuerzeug. »Erzählen Sie bitte noch mal alles von vorn.«
Der Muskelberg seufzte. »Vor ein paar Monaten, als sie mal Leute brauchten, habe ich zwei Wochen lang dort gearbeitet, als Sicherheitsbeauftragter.«
Sicherheitsbeauftragter. De Marchi nahm zur Kenntnis, dass auch ein Rausschmeißer seine Ehre hat und Wert
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