Elia Contini 03 - Das Verschwinden
Giovanni und lief auf ihn zu. »Spielst du Monopoly mit mir?«
»Monopoly, jetzt?«, sagte Giovanni überrascht.
»Das kann sie doch überhaupt nicht«, rief Pietro von seinem Liegestuhl herüber. »Sie kennt die Regeln nicht.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte Viola schrill. »Giovanni hat sie mir beigebracht, das stimmt doch, Giovanni, oder?«
»Ja, aber …«
»Und wieso kann man nicht spielen, wenn die Sonne scheint? Ich werde lieber bei Sonnenschein reich!«
»Das letzte Mal warst du sehr schnell bankrott«, kam es hämisch von Pietro.
»Das stimmt nicht, ich hatte ein Gasthaus auf dem Zürcher Paradeplatz!«
»Ein Gasthaus?«, fragte Giovanni verwundert.
»Für ein Hotel hat die Kohle nicht gereicht«, erklärte Pietro. »Tja, es ist eben Krise, man muss schauen, wo man bleibt.«
Giovanni fragte nicht nach den Regelkorrekturen, die seine Geschwister vorgenommen hatten, sondern wollte wissen, wo Natalia sei.
»Die gefällt dir, ja?«, platzte Viola sofort heraus. »Die gefällt dir, die gefällt dir!«
»Aber geh, die redet doch nix«, sagte Pietro.
»Seid so gut«, schaltete die Mutter sich ein, »und schreit nicht so laut. Könnt ihr euch nicht beschäftigen, ohne zu schreien? Und du, Pietro, red keinen Unsinn!«
»Aber …«
»Kein Aber!«
Pietro verzichtete klugerweise auf eine Antwort und hob sich wieder die Zeitschrift vors Gesicht. Viola sah nach, ob der Papa jetzt endlich aufgewacht war, und Giovanni ging auf der Suche nach Natalia ins Haus.
Sie saß in ihrem Zimmer am Fenster und studierte die Blätter mit den gezeichneten Bildern, die ihr die Logopädin immer mitbrachte. In der Therapie benutzten sie gelegentlich auch den Computer, der Natalia half, ein Wort, das ihr im Ganzen nicht einfiel, Buchstabe für Buchstabe zu rekonstruieren.
»Hallo, wie geht’s?«, fragte Giovanni.
Natalia blickte auf.
Giovanni nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben sie.
Giovanni bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, wagte sogar einen Scherz, bis er spürte, dass sie trüben Gedanken nachhing. Kein Wunder. Sie hatte kurz nacheinander beide Eltern verloren, sie hatte den Mord an ihrer Mutter beobachtet. Giovanni stand ihr nicht so nahe, als dass er sich auch nur vorstellen konnte, was in ihr vorging.
Lange saßen sie beieinander, ohne zu sprechen.
Aber dann begann sie als Erste zu reden:
»Ich habe einen Brief bekommen. Komisch. Verstehe ich nicht, willst du lesen?«
Giovanni nickte überrascht. Sie reichte ihm ein leicht zerknittertes Stück Papier.
Liebe, werte Natalia,
ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, dir zu schreiben. Zuerst wollte ich abreisen, ohne noch etwas zu sagen. Aber dann hörte ich im Fernsehen, dass Dr. Rocchi tot ist. Das tut mir leid. Er hatte die Mappe mit meinen Papieren und alle von Vicky, die sie weggebracht haben, und die Papiere vernichtet. Ich muss jetzt fort und bitte dich, die Polizei nicht sofort zu verständigen, das wäre sehr schlecht für mich. Aber in den Dokumenten steht meine Mobilnummer, wenn ihr mich braucht. Ich wünsche dir sehr viel Glück.
Kate
Giovanni hob den Kopf und sah Natalia an. »Was für Papiere?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Stimmt das denn? Dass dein Vater diese Papiere hatte? Weißt du, wo sie sind?«
Natalia bemühte sich zu antworten, aber es fehlten ihr die Worte. Sie schloss die Augen, und nach ein paar Sekunden sagte sie: »Der Wald.«
Giovanni sah sie fragend an.
»Ich vergesse die Flucht im Wald, und da war ein … wie heißt das? Etwas, das man nicht sieht. Nein: wo etwas drin ist und nicht gesehen wird.«
»Hm … ein Versteck vielleicht?«
»Ja, Versteck! Ich habe die Papiere in dem Versteck versteckt.«
»Das heißt, du hast die Unterlagen, die dein Vater hatte, versteckt? Vielleicht haben sie was mit dem Tod deiner Mutter zu tun. Weißt du denn, was das war? Was dort stand?«
Natalia senkte den Blick. »Nein.«
Giovanni las noch einmal Kates Brief und murmelte: »Ihre Telefonnummer haben wir also nicht …«
Natalia nickte. Giovanni wollte ihr den Brief zurückgeben, sie aber bedeutete ihm mit einer Geste, dass er ihn behalten sollte.
»Willst du ihn nicht der Polizei geben?«
Natalia schüttelte den Kopf. »Sie will es doch nicht.«
Giovanni faltete den Brief wieder zusammen und verstaute ihn in seinem Portemonnaie.
Er verzichtete auf einen Kommentar, um Natalia nicht zu verstören, aber es schien ihm nicht richtig, so zu tun, als wäre nichts. Vielleicht könnten sie sagen,
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