Elia Contini 03 - Das Verschwinden
hatte sie zur Strafe hinausgeworfen.
Vielleicht sollte sie vor ihrer Abreise noch einen letzten Versuch wagen und noch einmal mit Rocchi reden.
Ohne Handtuch kam sie aus dem Bad. Der Mann hatte sich gar nicht angezogen, sondern war wieder ins Bett gekrochen. Dort lag er mit nassen Haaren unter der Decke und sah sie an. Kate trat an das Tischchen, auf dem ihr Mobiltelefon lag, warf einen Blick darauf und drehte sich dann zu ihm. Sie stand am Fuß des Bettes, die Arme um den Oberkörper geschlungen, wie um sich zu schützen, gesenkten Blicks. Sie lächelte.
»Du willst nicht nass werden im Regen, oder?«, sagte sie.
»Ich habe noch Zeit«, sagte er.
Was konnte man noch tun für Vicky? Es war schwierig. Sie hatte keine Freunde und kein Geld. Schon einmal hatte Kate für ihre Neigung, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, schwer büßen müssen. Sie sollte jetzt lieber an sich denken, an ihre Arbeit in diesem Scheißhotel, um das Flugticket bezahlen zu können. Und überhaupt – brauchte Vicky wirklich Hilfe? Sie war ja fort, war in ihre Heimat zurückgekehrt. Um keinen Preis wollte Kate mit der Polizei zu tun haben. Sie sagte: »Aber deine zwei Stunden sind vorbei.«
»Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben?«
Kate lächelte wieder, mit geschlossenem Mund. Er war eigentlich ganz sympathisch, nur seine Ordnungsliebe kam ihr zwanghaft vor. Er wollte nur seine Mittagspause verlängern, bis das Gewitter vorbei wäre. Früher hätte sie ihm eine Ermäßigung gegeben, damit er umso lieber wiederkäme – Kundenbindung. Aber das hatte jetzt keinen Sinn mehr, sie träfen einander ohnehin nie wieder.
»Wenn du zahlst, bleibe ich noch ein bisschen.«
Er zog seine Brieftasche aus dem Jackett über der Stuhllehne, und Kate schlüpfte unter die Decke. Nein, für Vicky konnte man nichts mehr tun. Es tat ihr leid, dass diese Scheißkerle ungeschoren davonkamen, aber sie konnte ja nicht allein gegen die ganze Organisation kämpfen.
Und schließlich war Vicky zum Glück wieder gesund geworden.
Scheußliche Sache, wirklich. Aber immerhin war niemand gestorben.
10
Das Versteck
Natalia war wieder da. Giovanni tauchte bis über den Kopf in den Tümpel und hielt so still, wie es ging. Natalia war wieder da, und die Polizei hatte den Mörder noch nicht geschnappt. Das Wasser war eisig. Giovanni empfand die Kälte wie ein eng anliegendes Futteral, ein Gewicht auf der Brust. Er öffnete unter Wasser die Augen, sah aber nur verschwommene Konturen.
Er tauchte wieder auf, sprang aus dem Wasser und atmete in vollen Zügen. Er fühlte sich großartig. Das Baden im Wildbach war wunderbar. Ganz anders als das Meer mit seiner endlosen Weite und Langsamkeit. Im Tresalti hielt man es genau zehn Sekunden aus – dann musste man sofort wieder raus, mit Gänsehaut und zitternden Muskeln.
Ein Stück flussabwärts war noch ein Tümpel, der mit einem Steinmäuerchen eingefasst war. Giovanni wusste, dass Contini hier seine Flöße schwimmen ließ. Dieser Contini – manche Leute hielten ihn für einen Halbirren. Andere sagten, er sei ein Privatdetektiv, wie im Film, aber es kannte ihn eigentlich niemand näher. Giovanni fand ihn ganz nett. Er hatte den Eindruck, dass auch Contini Natalia im Auge hatte, dass er irgendwie ahnte, was hinter ihrem Schweigen stand.
Giovanni war sicher, dass Natalia ein Geheimnis hatte. Vielleicht war ihr das selbst gar nicht so deutlich bewusst, aber früher oder später kam es bestimmt ans Licht.
Das Handtuch um den Hals, machte er sich auf den Heimweg. Gegen fünf sollten der Richter Bonetti und der Doktor kommen, die mit Natalia reden wollten. Am Vormittag war die Logopädin da gewesen. Natalia machte gute Fortschritte, und Giovanni war darüber fast ein bisschen erschrocken. Natürlich wünschte er ihr, dass sie wieder gesund würde, aber sich selbst hätte er gewünscht, dass alles so bliebe, wie es war.
Durch die hintere Gartentür betrat er das Grundstück. Sein Vater schlief in einer Ecke des Gartens in der Hängematte, und seine Mutter saß unter der Linde und machte ihr tägliches Kreuzworträtsel von der letzten Seite der Zeitung. Pietro fläzte in einem Liegestuhl und las die neueste Ausgabe der Tex , während Viola auf der Suche nach jemandem war, der mit ihr spielte.
»Lass mich das Kreuzworträtsel fertig machen«, sagte die Mutter. »Aber was willst du denn spielen, wenn doch die Sonne so schön scheint!«
Violas Gesichtsausdruck näherte sich der Schmollmiene. Dann aber erspähte sie
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