Elia Contini 03 - Das Verschwinden
überlegte, wie er sein Anliegen zur Sprache bringen sollte, faltete Contini das Blatt zusammen, das er gelesen hatte, und fragte: »Wie läuft’s mit Natalia?«
»Gar nicht.«
Contini hob schweigend die Brauen.
»Sie wollte, dass wir uns nicht mehr sehen«, erklärte Giovanni. »Sie hat es mir beim letzten Treffen gesagt und dann noch mal am Telefon.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nichts, nur dass sie allein sein will. Zu viele schlimme Erinnerungen.«
»Das geht vielleicht vorbei.«
»Genau darüber wollte ich mit dir reden …«
Aus dem Augenwinkel sah Giovanni seine kleine Schwester aus dem Keller zurückkommen. Es blieb nicht mehr viel Zeit.
»Ich muss unbedingt wissen, was am ersten August passiert ist, was Natalia gesehen hat. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, wie man ihr helfen kann. Ich habe ja selber im Wald diese Papiere gesucht, aber das war sinnlos. Jetzt wollte ich wissen, ob du diese Frau gefunden hast, diese Kate, ob du bei ihrem Brief inzwischen durchblickst.«
Giovanni verstummte jäh. Er hatte diesen Wortschwall ohne Pause hervorgestoßen, mit gesenktem Blick. Jetzt blickte er hoffnungsvoll auf.
Contini sah ihn eine Weile an, dann sagte er: »Stimmt, ich hab dich gar nicht mehr informiert. Aber in der Zwischenzeit habe ich mich bei einem Freund im Milieu erkundigt. Niemand weiß, wo Kate ist, aber vielleicht erfährt sie ja auf irgendeinem Weg, dass ich nach ihr suche, und meldet sich; die Hoffnung habe ich noch.«
»Sag Bescheid, wenn ich was helfen kann.«
Contini nickte. Giovanni zögerte kurz, dann fragte er: »Hast du noch mal mit Natalia geredet?«
»Nicht wirklich. Sie hat gesagt, dass sie jetzt nicht mehr darüber redet, weil sie diese Geschichte hinter sich lassen will. Tja, der Mörder läuft aber immer noch frei herum.«
»Glaubst du, er ist hinter ihr her?«
»Weißt du noch, als Natalia und Mankell nass bis auf die Haut bei mir vor der Tür standen? Vor ein paar Wochen, bei diesem argen Gewitter …«
»Ich weiß schon.«
»Also, Mankell hat abgewiegelt, aber Natalia war ziemlich aufgelöst, als hätte sie was Schreckliches erlebt. Und ich hab mich gefragt, ob sie wohl den Mörder wiedergesehen hat. Ob er sie im Auge behält.«
»Und Mankell? Wieso hat er nichts davon gemerkt?«
»Mankell ist ermordet worden. Ich weiß nicht, wie die Polizei darüber denkt, aber meiner Ansicht nach besteht zwischen diesen beiden Verbrechen eine Verbindung, und das heißt, Mankell könnte auch mit dem Mord an Natalias Mutter was zu tun haben.«
Giovanni hatte tausend Fragen im Kopf, doch er sah Viola mit den Limonaden auf sich zukommen, und nach ihrer Miene zu urteilen, war sie nicht damit einverstanden, dass er hier bei Contini saß.
»Wenn du willst, kann ich ja mit Natalia reden. Vielleicht hört sie auf mich.«
»Hast du nicht gesagt, sie will dich nicht mehr sehen?«
»Ich rufe sie an.«
Contini schüttelte den Kopf. »Besser, wir lassen sie vorläufig in Ruhe.«
Zwei Meter entfernt gestikulierte Viola mit den Limonadenflaschen und schnitt ihm Grimassen.
»Kann ich noch eine Frage stellen?«
Contini nickte.
»Ist Natalia jetzt … Ich meine, haben die von der Vormundschaftskommission inzwischen entschieden, wem sie anvertraut wird, bis sie achtzehn ist?«
»Ja, ich habe neulich mit Brenno Bonetti gesprochen. Der hat sich natürlich nicht aus dem Fenster gelehnt, aber ich meine verstanden zu haben, dass sie sich für Corrado Bossi entschieden haben, den Anwalt der Familie.«
Viola hielt es nicht länger aus. »Giovanni!«, rief sie. »Die Mama hat gesagt …«
»Ja, ich komm schon.«
»… dass wir uns schicken müssen! Jetzt komm! Wir haben die allerbesten Flaschen erschnuppert, ich und Giocondo!«
»Erschnuppert?«, fragte Contini.
»Die besten haben einen speziellen Geruch«, erklärte Viola. »Merkt man sofort. Wer bist du?«
Giovanni genierte sich. Das Letzte, was er gewollt hätte, war eine Begegnung zwischen Viola und Contini, noch dazu mit einer Diskussion über den Geruch von Limonadeflaschen. Er nahm seine Schwester am Arm. »Gehen wir …«
Sie aber riss sich los und pflanzte sich vor Contini auf. »Wohnst du hier? Wie heißt du?«
»Contini heiße ich.«
»Trinkst du keine Limo?«
»Nach was schmeckt die? Mandarine?«
Viola verzog angewidert das Gesicht. »Wäh, doch nicht nach Mandarine!«
»Mandarinenlimo mag ich auch nicht.«
Giovanni schaffte es schließlich, sie loszueisen, und zog mit ihr ab. Am liebsten hätte er sich
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