Elia Contini 03 - Das Verschwinden
geohrfeigt. Eine Peinlichkeit nach der anderen! Wenn ich was helfen kann – von einem, der nicht mal alt genug für den Führerschein ist! Wenn du willst, kann ich ja mit Natalia reden – wie lächerlich ist das denn!
Viola hatte die Limonade in die Gläser eingeschenkt und versuchte jetzt die Bläschen zu zählen. Giovanni blickte dem davongehenden Exdetektiv nach, der den Weg zur Oberstadt von Corvesco einschlug.
»Trinken wir um die Wette? Wer schneller fertig ist?«
»Ach, mach doch lieber langsam. Es ist die letzte Limo des Sommers.«
»Das stimmt.« Viola wurde traurig. »Wie lang ist es bis nächsten Sommer?«
»Lang genug, dass wir bis dahin wieder Durst kriegen.«
Feierlich wie die Teilnehmer einer Zeremonie nahmen beide einen Schluck Limonade. Dann hielt Viola die Wange an die Felsspalte, um den eisigen Hauch zu spüren. »Atmet der Felsen auch im Winter?«, fragte sie. »Auch wenn wir in Lugano sind?«
»Na klar, er bleibt ja hier«, sagte Giovanni. »Und wartet, bis wir wiederkommen.«
»Atmet er die ganze Zeit?«
»Das ist ein Stein. Der hat nix anderes zu tun.«
Auch Giovanni hielt das Gesicht an den Spalt und schauderte, als er den Luftzug an der Haut spürte.
Er schloss die Augen und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er sah Natalias Gesicht, wie er sie im Wald überrascht hatte, bei ihrer ersten Begegnung, dann ihren gebräunten Körper am Schwimmbad. Und wie von der kalten Luft herbeigeweht, sah er sie in Continis Haus, nach dem großen Gewitter. Mankell, der sich lächelnd den Regenmantel auszog, und Contini, Tee kochend. Draußen die Sintflut. Damals war ihm nichts aufgefallen, aber jetzt, im Nachhinein, erinnerte er sich an die Furcht in Natalias Augen.
»Der Contini war ja angeblich auch dabei …«
»Wäre ich die Polizei, würde ich dieses Mädchen schärfstens beobachten.«
»Er war auf dem Balkon und kontrollierte die Straße. Dr. Mankell saß im Wohnzimmer.«
»Erst wird ihre Mutter ermordet, dann ihr Arzt …«
»Und Contini? Hat er nichts gesehen?«
»Er hat in dem Moment den Schuss gehört, als der Richter kam. Aber bis dahin war er allein im Haus, nur Natalia war noch da.«
»Der Contini saß auf dem Balkon, und sie war hinten im Garten.«
»Allein, oder? Contini, meine ich. Und weiß das die Polizei? In seiner Haut möchte ich wirklich nicht stecken …«
Contini hörte das Getratsche nicht, aber dass es stattfand, bezweifelte er keine Sekunde. Er ahnte es hinter den geschlossenen Türen und in den Winkeln der Plätze, er erriet es in einem Seitenblick, in einem kurzen Zögern vor einer Begrüßung. Warum hat unser Contini jedes Mal die Finger im Spiel, wenn es einen Skandal gibt? Was hat der mit der Familie Rocchi zu schaffen?
Der graue Kater erwartete ihn, die Augen halb geschlossen, auf der Veranda. Es weht ein böser Wind, Contini. Weiß ich, aber was kann ich dafür. Contini sperrte die Tür auf, und der Kater trabte hinter ihm her in die Küche. Hast du nicht mit dem Detektivjob aufgehört, weil du mehr Zeit für dich haben wolltest? Doch, aber ich kann ja jetzt nicht so tun, als wär nichts. Er öffnete eine Dose Katzenfutter und leerte sie in einen Napf. Ich kann Natalia doch nicht allein in diesem Schlamassel sitzen lassen. Na, du hast es gut. Der Kater machte sich über sein Futter her, und Contini nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Er legte eine Platte von Bénabar auf, drehte die Musik laut und ging auf die Veranda.
Der Schaukelstuhl aus Weidenrohr stand zum Dorf hin. Contini setzte sich hinein und verschob ihn um neunzig Grad, so dass er auf die Bäume seitlich des Hauses blickte. Er zündete sich eine Zigarette an. Der Wald war eine dunkle Wand; kein Vogel sang darin, nur der Tresalti rauschte. Dort drin versteckte sich der Schlüssel zu allem.
Aber Natalia wollte nicht mehr nach Corvesco kommen, und sie wollte keine Fragen mehr hören. Also blieb nichts anderes übrig, als es auf dem anderen Weg zu versuchen: über Kates Brief und die Verbindung zum Tukan. Contini zog das Blatt, das er bei Pepito gelesen hatte, noch einmal hervor.
Lieber Contini,
ich benutze ungern Mail oder Natel – handschriftliche Briefe sind mir lieber, das ist sicherer, habe ich mir sagen lassen. Ich habe gehört, dass du mich suchst, weil du Fragen nach Doktor Rocchi und Doktor Mankell stellen willst, der tot ist. Ich bitte dich aber, damit aufzuhören, weil es gefährlich ist. Ich kann dir nicht helfen, solange Herr Savi sich nicht entschließt, alles
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