Elizabeth II.: Das Leben der Queen
Verfassungsproblemen noch kein Wort – er wollte bei dieser ersten Begegnung mit dem Staatsoberhaupt nicht sogleich belehrend auftreten, das wäre unschicklich gewesen. Stattdessen versucht er, dem König darzulegen, dass der Respekt für die Monarchie über Nacht verschwinden könnte, wenn die Leute von den Vorgängen erführen. Wäre es nicht gut, wenn Mrs. Simpson für sechs Monate das Land verlassen und aus dem Blickfeld verschwinden würde? Edward weicht diesem Vorschlag aus, hält lediglich fest, dass Wallis «die einzige Frau auf der Welt» für ihn sei und er ohne sie «nicht leben» könne. Jetzt ahnte Baldwin, was auf ihn zukam. «Als ich ein Junge war und Geschichtsbücher verschlang», so würde er einem Mitarbeiter verraten, «hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages zwischen einem König und seiner Mätresse würde einschreiten müssen».
Am 13. November der nächste Vorstoß, diesmal von Alexander Hardinge, dem Privatsekretär des Königs. Er hat sich mit Baldwin und einzelnen Ministern abgesprochen und schreibt einen aufrüttelnden Brief an Seine Majestät. Es ist ein Digest mehrerer Papiere aus den inneren Kabinettszirkeln, in dem endlich all das ausgeführt wird, was der Premier bis dahin nicht den Mut oder die Zeit gefunden hatte dem König selber vorzutragen. Hardinge verheimlicht nichts, er droht fast. Nicht nur stehe der Damm des Schweigens der Presse unmittelbar davor zu brechen. Er weiß auch zu berichten, dass die Regierung zurücktreten werde, wenn der König unbelehrbar bleibe, aber dass keine Alternativregierung bereit stünde – dashatte Labour-Führer Attlee dem konservativen Premier bereits zugesichert –, mit der dann einzig denkbaren Folge: Auflösung des Parlaments. Und worum würde sich der folgende Wahlkampf drehen? Natürlich um Wallis Simpson. Eine unerhörte Vorstellung.
Um den Inhalt dieses Schreibens zu verstehen, muss man einen Schritt zurücktreten und die Verfassungsrolle von König und Politik etwas genauer ins Auge fassen. Denn hier lag die Crux des Problems Edward VIII., wie Sir Henry Marten später der jungen Elizabeth eingehend darlegen würde. «In einer konstitutionellen Monarchie ist das Parlament der Souverän des Königs», schrieb der amerikanische Autor und Europa-Kenner John Gunther in seinem Buch «Inside Europe» von 1936 in griffiger Verknappung. Der Monarch kann nur handeln auf Anraten seiner Minister und des Premiers. Das hatte gültig schon Walter Bagehot, der mehrfach Genannte, in «The English Constitution» festgehalten; es war aber lange vor ihm schon ungeschriebener Brauch gewesen, spätestens seit der Glorreichen Revolution von 1688, mit der die Macht vom König auf das Parlament überging, in einer Art kommissarischer Herrschaft.
Der Träger der Krone hatte nur noch drei grundlegende Rechte, die Bagehot so formulierte: «The right to be consulted, the right to encourage and the right to warn» – das Recht, konsultiert zu werden, zu ermuntern und zu warnen. Der Regierung in den Weg treten kann er nicht. Sie heißt zwar euphemistisch «His» oder «Her Majesty’s Government», gehört dem Monarchen aber keineswegs, da er dem Rat (
advice)
der Regierung in jedem Fall Folge leisten muss. Bagehot merkte ironisch an, der Monarch müsse sogar einem
advice
zu seiner Enthauptung zustimmen – es sei denn, er trete vorher zurück. Die sogenannten Reserverechte (Prärogative), welche die Krone besitzt, berühren meist nur zeremonielle Fragen wie die Ernennung (nach Vorschlag) des Regierungschefs, die Auflösung des Parlaments am Ende seiner Laufzeit oder nach Verlust der Parlamentsmehrheit einer Regierung sowie das Unterschreiben der Gesetze.
Edward VIII. stieß mithin frontal mit dem eigentlichen Hüter der Verfassung, mit Parlament und Regierung, zusammen. Beideließen ihn wissen, dass man seine geplante Verheiratung mit der geschiedenen Wallis Simpson nicht mittragen werde. Schon die Beschreibung des Königs als «Verteidiger des Glaubens», noch heute auf allen britischen Münzen unter der Abkürzung «F.D.» (Fidei Defensor) anzutreffen, machte eine Zustimmung unmöglich. Wie konnte der König Kopf einer Kirche sein, die Scheidungen nicht anerkannte? Natürlich bestand theoretisch die Möglichkeit für das Parlament, auf Bitten des Königs ein Gesetz zu erlassen, das ihm die Ehe mit Wallis Simpson ermöglicht hätte. Allein, dafür gab es unter keiner der im Unterhaus vertretenen Parteien eine Mehrheit, ebenso wenig wie in den
Weitere Kostenlose Bücher