Elizabeth II.: Das Leben der Queen
in der Queen ihre Spitze hätten, wie in einer gesellschaftlichen Pyramide, dem Gerüst einer hierarchischen Gesellschaft. Da tauchten die Argumente des amerikanischen Soziologen Birnbaum wieder auf, von denen zwei Kapitelfrüher die Rede war, diese «Lametta-Schwärmereien», welche «die Beherrschten blind machen gegenüber der verdorbenen Natur des Systems». Aber der englische Autor konzediert hintersinnig, dass solche Klassenunterschiede und heimlichen Sehnsüchte «den Zement ausmachen für gesellschaftliche Kohäsion und nicht ein lächerlich überholtes und letztlich zerfallendes Modell gesellschaftlicher Desintegration abgeben». Im britischen Fall sei «die Monarchie ein höchst wertvolles Element innerhalb der Stabilität, wie wir sie jetzt haben». Ein giftigeres Kompliment konnte der Kritiker nicht formulieren: Die Monarchie sei als Garant des Zusammenhalts wichtig, weil die britische Gesellschaft so rückständig sei, Klassenunterschiede und die auf Hierarchien fußende Ungleichheit auch noch zu mögen!
Aber Muggeridge endet mit einer freundschaftlichen Warnung: Popularität allein macht den Thron nicht sicher. Man möge nicht vergessen, was Oliver Cromwell zu Baron Fairfax, seinem General, einmal gesagt habe, als beide hoch zu Ross von einer jubelnden Menge umgeben waren: «Die würden denselben Enthusiasmus aufbringen bei unserer Hinrichtung.» Auch Kontinuität an der Spitze des Staates genüge nicht, ergänzt der Essayist, möge sie auch über Politiker hinausreichen, die da «ebben und fluten unter dem Mond», wie es im «King Lear» heißt: «Die Queen muss auch als nützliches Element der Einheit dastehen, in einer Gesellschaft voll aktueller und potentieller Zwietracht.»
Die Kritik von Altrincham und Muggeridge verdient hier diesen breiten Raum, weil sie viele Argumente vorwegnahm, die später die Diskussionen um die Monarchie beherrschen sollten. Der Palast war jedenfalls wachgerüttelt. Martin (Lord) Charteris, der neue Privatsekretär der Queen, lud schon zwei Tage nach Erscheinen von Altrinchams Artikel den Autor zu einer Aussprache in seine Diensträume ein und gab später sogar zu, die Breitseite aus dem Jahr 1957 hätte dem Königshaus letztlich einen großen Dienst erwiesen. Langsam kamen einige Reformen in Gang: Die Queen führte Lunch-Runden mit Gästen ein, die einen besseren Querschnitt der Gesellschaft repräsentierten; das lächerliche Schauspiel der jährlichen Debütantinnenschau fiel fort; die Weihnachtsansprachekam 1957 zum ersten Mal per Fernsehen ins Haus; Prinz Charles wurde in Cheam eingeschult, einem Elite-Internat für junge Zöglinge, gewiss, aber doch endlich eine Schule. Und Margaret heiratete einen
commoner,
einen Nicht-Adeligen, Tony Armstrong-Jones. Muggeridge meinte in einem Essay aus den 60er Jahren («The Queen and I») spöttisch, aber mit einer Spur von Anerkennung: «Eine Institution, die einen Armstrong-Jones und Co. inkorporiert hat, muss fürwahr eine wirklich starke sein.»
Auch Philip stimmte mit vielen Argumenten der Kritiker überein. Er tat das von der Freiheit seines Außenseiterpostens her, da er nicht so stark in die Hierarchie des Hofes eingebunden war und somit dessen manchmal erstickende Altertümlichkeit stärker erfasste. Ihm saßen die Medien aus einem anderen Grund im Nacken. Es wurde so manches gemunkelt über sein Privatleben, und was denn da vor sich gehe im Thursday-Club, der Männerversammlung zur Lunchzeit in einem oberen Raum von «Wheeler’s Restaurant» in Soho. «Philip’s funny friends», nannte die Queen sie etwas spöttisch, «funny» im Sinne von seltsam, manchmal auch «diese tollkühnen Männer». Gestandene Figuren der Gesellschaft und der Kulturszene eigentlich, Schauspieler wie David Niven, Peter Ustinov, Autoren wie Compton Mackenzie oder der amerikanische Jazz-Harmonikaspieler Larry Adler, dazu einer der ältesten Freunde des Herzogs, der Society-Fotograf Henry Nahum Baron. Philips Frauenfreundschaften waren kein Geheimnis, man rubrizierte sie unter den gesellschaftlichen Zuneigungen, wie sie auf dem Tanzboden und bei den Zusammenkünften der High Society in den entsprechenden Villen üblich waren. «Die Queen weiß, dass ihr Mann sich gerne amüsieren lässt», hieß die Standardauskunft von Leuten, die vorgaben, das Denken der Monarchin entziffern zu können. Er liebte wilde Tänze, wofür die Königin viel zu scheu gewesen wäre. Aber gab er je einer Versuchung zur Untreue nach? Die Biografen ziehen durchgehend
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