Elizabeth II.: Das Leben der Queen
demokratischen Gesellschaft, die voller Stolz auf den seit 1945 zurückgelegten Weg schaute, auch wenn die Zeit vor 1945 erst noch der breiteren Aufarbeitung harrte.
Dieser Stolz wurde durch den Besuch der Königin geradezu legitimiert – die Bundesrepublik fühlte sich wie endgültig rehabilitiert nach den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. Carlo Schmid, der große alte Mann der Sozialdemokraten und ein
homme de lettres,
wie es ihn nur selten in der deutschen Politik gab (und gibt), brachte genau diesen Gedanken in einem Gastaufsatz für den «Guardian» zum Ausdruck, wo er davon schrieb, die Deutschen empfänden den Besuch der Queen als «das Ende ihres Statusals moralisch geächtete Nation». Der Enthusiasmus der Bevölkerung spiegelte dieses Gefühl der Befreiung – er verdankte sich nicht nur dem Glamour der damals 39-jährigen Queen, die im Jahr zuvor zum vierten Mal Mutter geworden war. Elizabeth II. konnte auch auf der Grundlage aufbauen, die drei Jahre vor ihr der französische Staatspräsident Charles de Gaulle mit einer ähnlich umjubelten fünftägigen Visite in der Bundesrepublik gelegt hatte, in deren Verlauf er in einer berühmt gewordenen Rede am 4. September 1962 in Bonn von seiner «Bewunderung für das große deutsche Volk» sprach.
Das wurde seinerzeit mit Dankbarkeit aufgenommen – aber der französischen Welt fühlte sich die Masse der Deutschen nicht annähernd so nahe wie der amerikanischen und der angelsächsischen. Daher die Dissonanzen im deutschen Bundestag im Jahr des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages, als im April 1963 Fritz Erler, der Fraktionsführer der SPD, mokant anfragte, ob man für die Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen «mit der Entfremdung Großbritanniens» zahlen müsse. Rasch bildete sich eine Mehrheit im Parlament, die dem Vertrag mit Frankreich einen entsprechend klärenden Text vorauszustellen wünschte. De Gaulle ärgerte sich, Adenauer war besorgt. Umsonst: Die Präambel zum deutsch-französischen Freundschaftsvertrag musste nach dem Willen der Abgeordneten sein. Der Wortlaut vom 16. Mai hielt fest, dass die Einigung Europas auf dem begonnenen Wege fortgesetzt werden müsse, aber «unter Einbeziehung Großbritanniens und anderer zum Beitritt gewillter Staaten».
Die deutsche politische Elite war nicht gewillt, ihre Wertschätzung Englands der Aussöhnung mit Frankreich zuliebe aufzugeben, die Insel aus den politischen Erwägungen über die europäische Zukunft auszuschließen. Im Übrigen wollte man sich von de Gaulle nicht in eine Wahl zwischen «Atlantikern» und «Europäern» drängen lassen. Die deutsche Politik sollte beides sein – atlantisch
und
europäisch, und für beides brauchte man die Briten. Auch Konrad Adenauer hatte ja nach dem Krieg um die Beziehungen zu Großbritannien geradezu gebuhlt, mit nach seiner Auffassung unbefriedigendem Resultat. Noch im März 1953, als die europäischeVerteidigungsgemeinschaft (EVG) zur Debatte stand, wurde er einmal vor dem Bundesvorstand der CDU ziemlich deutlich: «Es ist mir sehr lieb, wenn Großbritannien in der zukünftigen EVG einen gewissen Einfluss hat, damit wir mit den mehr oder weniger hysterischen Franzosen nicht allein sind.»
Am Ende gab es zu diesen aber doch keine Alternative. Denn als Harold Macmillan am 10. August 1961 reichlich spät Englands Beitrittsgesuch zur Europäischen Gemeinschaft (EG) einreichte, hatte Staatspräsident de Gaulle sich längst entschlossen, die Briten gleichsam in ihrem Saft – außerhalb des Kontinents – schmoren zu lassen: Am 14. Januar 1963 gab er sein Veto gegen den britischen Beitritt bekannt. Sieben Tage später, eine unglückliche Koinzidenz, unterzeichneten er und Adenauer den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag – den der Bundestag mit der Präambel dann gleichsam redigierte, im Sinne einer weniger frankophilen Grundlinie. De Gaulle fasste seine Enttäuschung über die Präambel, die er für eine Verwässerung des Freundschaftsvertrages hielt, in ein melancholisches Bild: Verträge seien wie junge Mädchen, sie hätten leider nur eine kurze Blüte ...
Diese Zusammenhänge muss man berücksichtigen, will man die Bedeutung des elftägigen Besuchs der Queen insgesamt würdigen. Er hatte einen hochpolitischen Hintergrund. Bereits 1963 als Teil von Macmillans Europapolitik konzipiert, als Antwort auf de Gaulles Veto, enthüllte er erneut ein Leitmotiv der britischen Nachkriegspolitik: die Bildung eines «karolingischen
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