Elizabeth II.: Das Leben der Queen
Nichtsdestoweniger glaubte ich bei ihr ein starkes Europa-Engagement zu sehen, und als ich den Gedanken vortrug, sie könnte doch der Kommission einen Besuch abstatten, reagierte sie geradezu enthusiastisch und schlug vor, so etwas müsste im kommenden Jahr möglich sein.»
Drei Jahre nach Jenkins’ Unterredung kam es im November 1980 tatsächlich zum Besuch Elizabeths in Brüssel. Tradition im Hauptquartier der Kommission ist es, dass besuchende Staatsoberhäupter bei dieser Gelegenheit auch Fragen an die Kommissare stellen können. Elizabeths Privatsekretär, Sir Philip Moore, winkte ab – das sei nicht die Art Ihrer Majestät. Daraufhin schlug der Brüsseler Gesprächspartner Prinz Philip vor. «Genau das, was wir befürchten», so die Antwort des Privatsekretärs. Der Herzog von Edinburgh nämlich folgt der proeuropäischen Linie seiner Frau mitnichten, ebenso wenig wie Prinz Charles, der sich bereits mehrfach öffentlich kritisch geäußert hat über die Erweiterung der Kompetenzen der EU über nationale Gesetzgebungen hinweg und über die Erosion der Souveränität Großbritanniens, die damit einhergehe. Aber der Besuch der Königin in Brüssel verlief äußerst harmonisch, wie es nicht anders sein kann, wenn keine Fragen gestellt werden. Auch Philip ergriff nicht das Wort, konnte es nicht ergreifen, so gerne er gewollt hätte. Es wäre protokollarisch undenkbar gewesen, dass der Prinzgemahl in Gegenwart der Königin eine Rolle übernimmt, die eigentlich ihr zusteht und die sie nur diesmal nicht wahrnehmen wollte. Die Queen delegiert niemals hoheitliche Aufgaben bei Anlässen, an denen sie selber teilnimmt. Dann tritt für den reaktionsfreudigen Herzog an ihrer Seite die alte Regel in Kraft: Bitte drei Schritte hinter der Monarchin. Das hatte der Brüsseler Beamte, als er Prinz Philip vorschlug, nicht bedacht.
Die Queen also eine EU-treue Dienerin? Ganz kann uns der Gedanke nicht überzeugen, bedenkt man, wie stark die Insel seit dem 16. Jahrhundert ihre Distanz zu Europa gepflegt hat. Europa war oft nur ein Terrain für britisches «Balance of power»-Denken – man mischte sich in europäische Angelegenheiten nur ein, um das Emporkommen einer dominanten Macht auf dem Kontinent zu verhindern. Ansonsten richtete sich die britische Politik auf Übersee, auf den Aufbau des Empire. Wir bezeichnen es heute nicht mehr mit diesem Namen, aber das «Commonwealth of Nations» ist sein legitimer Erbe, den die Queen weder ignorieren kann noch ignorieren will, es gehört zu ihrer Herrschaft wie eine zweite Natur. Das schränkt ihr Interesse an den europäischen Institutionen – darübersoll man sich nicht täuschen – stark ein. In dem Jahr, in dem die Regierung Heath den britischen Beitritt zur EWG beschloss, im Jahr 1972 widmete Elizabeth II. daher wie zum Kontrast ihre Weihnachtsansprache ausdrücklich dem Commonwealth, um Sorgen zu zerstreuen, der Schwenk nach Europa könne Englands traditionelle Rolle in Übersee schmälern. «Die neuen Verbindungen zu Europa werden die mit dem Commonwealth nicht ablösen», so ihre Botschaft. «Sie können nichts an unserer historischen und persönlichen Zuneigung zu unseren Verwandten und Freunden in Übersee ändern. Alte Freunde werden nicht verloren gehen.» Das waren Worte, die ihr die Regierung nicht vorgeschrieben hatte – zu Weihnachten und bei der jährlichen
Commonwealth Message
im Frühjahr ist die Queen ja frei, ihre Texte ohne offizielle Beeinflussung zu verfassen. Wie nahe ihr das Commonwealth steht, davon wird das nächste Kapitel erzählen.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte als deutsches Staatsoberhaupt zweimal Gelegenheit, die Queen zu erleben – auf seinem Besuch in London 1986 und bei ihrem Gegenbesuch in dem nun vereinten Deutschland 1992. Dazwischen lag eine entscheidende Zäsur der Weltgeschichte, der Fall der Mauer, der auf britischer Seite tiefe Ängste vor einem wieder erstarkenden Deutschland wachrief, wobei Premierministerin Margaret Thatcher den Ton angab. Das lag zum Beispiel wie ein Schatten auf dem Besuch Richard von Weizsäckers in Coventry 1990, zum 50. Jahrestag der Bombardierung der gotischen Kathedrale. Aber solche Animositäten waren zum Glück bis 1992 wenn nicht verflogen, so doch in den Hintergrund getreten, und so konnte die Queen ohne heimische Proteste zu einem historischen Besuch nach Deutschland aufbrechen, der diesmal Leipzig und Dresden als Orte mit einbezog, Stätten der friedlichen Revolution auf dem Weg zur
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