Elizabeth II.: Das Leben der Queen
anderem in Londons Hyde Park eine Feier statt, bei der jeder der anwesenden Regierungs- und Staatschefs ein Kind seines Landes an die Hand nahm und es zum «Erdball des Friedens» führte, dem symbolischen Mittelpunkt der Feier. Nicht so die Queen.
Man sagt Elizabeth nach, so viel Zurückhaltung rühre bei ihr nicht nur von der antrainierten Distanz des Staatsoberhauptes her, sondern eben auch von der Furcht vor den eigenen Gefühlen, auch dies ein Hemmnis bei der Erziehung der eigenen Kinder. Man kann aber auch eine einfachere Erklärung heranziehen: Der Monarchin sind populistische Gesten unangenehm, sie hat nie besondere Anstrengungen unternommen, populär zu sein. Dabei kann sie an Weihnachten so herzig von Liebe sprechen zu allen, die sich ungeliebt fühlen. Auch hat sie öfter als andere Monarchen bei öffentlichen Anlässen Einblicke gewährt in das, was sie von Fall zu Fall bewegt, so im November 1992 in einer berühmt gewordenen Rede in Londons Guildhall, als sie ihr
«annus horribilis»
zur Sprache brachte, das Jahr der gehäuften Skandale und Enttäuschungen in ihrer Familie, dem zu schlechter Letzt auch noch der verheerende Brand auf Schloss Windsor folgte. Damals gab die Queen sogar zu, aus solchen Ereignissen lernen zu müssen für die künftige Präsentation der Monarchie.
Bei der Trauerfeier für die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 in der St. Paul’s Kathedrale sah man ihre Augen,was selten ist, sogar von Tränen umflort – wohl auch deshalb, weil am gleichen 11. September ihr bester Freund, Vertrauter und langjähriger Intimus bei allen Fragen der Pferdezucht und Pferdehaltung, Lord Porchester, gestorben war, mit dem sie schon am 8. Mai 1945 ausgelassen auf Londons Straßen das Ende des Krieges gefeiert hatte. Auch am 11. Dezember 1997, bei der Außerdienststellung der königlichen Yacht «Britannia» im Seehafen Portsmouth, konnte sich Elizabeth einer Träne, diskret weggewischt, nicht erwehren. 1953 vom Stapel gelaufen, unter engagierter Anleitung von Prinz Philip entworfen und ausgestattet, hatte die «Britannia» 968 offizielle Reisen absolviert und der Queen und ihrer Familie darüber hinaus als privates Refugium gedient – ein Ort, an dem sie sich wirklich entspannen konnte, wie die Monarchin mehrfach bekannte. Kostenfragen und die Not staatlicher Einsparungen bewogen das Parlament schließlich, diesen Traum nach 44 Jahren zu beenden.
Zum umfassenden Thema der Diskretion gehört auch die beliebte Frage: «Was denkt die Queen wirklich? Wie steht sie zu Fragen des Tages?» Das lässt sich so gut wie nie beantworten. «Gerade weil wir nicht wissen, was sie denkt, ist die Königin so erfolgreich», hat der Historiker Sir Maurice Shock einmal treffend formuliert. Anders als gewählte Präsidenten wird man sie nie eine politische Rede halten hören, und anders als diese unterliegt sie als konstitutionelle Monarchin auch vollkommen den Weisungen des Parlaments und der jeweiligen Regierung. Wenigstens ist das Amt damit immun gegen alle politischen Verdächtigungen. Aber zu welchem Preis! Niemand auf der Welt ist dermaßen in der Zeitgeschichte bewandert wie diese Königin, und das seit sechzig Jahren. Sie hat in ihrer Amtszeit mit zwölf Premierministern Zwiesprache gehalten während der diensttäglichen Audienzen bei ihr oder im September, wenn jeder Regierungschef für ein Wochenende pflichtschuldig nach Schloss Balmoral reist und dort auch in den engeren Familienkreis der Royals einbezogen wird. Man zähle die Gespräche mitStaatsoberhäuptern und Politikern aus den Ländern dieser Erde hinzu – was könnte diese Frau, eine wandelnde Schatzkammer der Geschichte, erzählen! Aber so gut wie nichts davon dringt je an die Öffentlichkeit – die Queen wird dieses immense Wissen mit sich ins Grab nehmen, eine Autobiografie, wie Politiker sie gerne nach ihren Dienstzeiten veröffentlichen, kommt für sie nicht in Frage. Man muss zurückgetreten sein wie Edward VIII., wenn man als (ehemaliger) Monarch Memoiren schreiben will. Erst lange nach Elizabeths Tod wird die Wissenschaft überhaupt Zugang zu ihren Privatpapieren erhalten, und erst dann wird man wissen, was in dem Tagebuch, das die Queen angeblich führt, steht und ob es mehr enthält als die unaufregenden Details, die zum Beispiel ihr Großvater der Welt mit seinen privaten Notaten hinterließ.
Refugium zur See, 44 Jahre lang: Elizabeth II. an Bord der königlichen Yacht «Britannia», 18. März 1972 (Foto:
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