Elizabeth II.: Das Leben der Queen
die beurteilen, die sie dort erleben. Nach einhelligem Urteil kann sie dann sehr indiskret sein und zum Beispiel bestimmte Persönlichkeiten, mit Vorliebe regierende Häupter, die sie gerade als Besucher erlebt haben mag, gekonnt ironisieren, oft durch mimischeImitation. Manchmal erlaubt sie ihrem Humor sogar vor einem größeren Kreis ein wenig Auslauf. So bei dem Empfang von 800 Gästen auf Schloss Windsor für ihren Sohn und Camilla Parker-Bowles nach deren Hochzeit am 9. April 2005. «Ich habe zwei wichtige Mitteilungen zu machen», hob sie an, «die erste: dass Hedgehunter das Grand National gewonnen hat.» Das berühmte Pferde-Hindernisrennen auf der Insel mit seinen weltbekannten Hürden war der Sprecherin nur der Anstoß für ihre eigentliche Pointe: «Mein Sohn ist im Ziel mit der Frau, die er liebt. Sie haben schwierige Sprünge hinter sich –
Becher’s Brook
etwa oder
The Chair
– und jede andere Art schrecklicher Hürden. Aber jetzt sind sie auf dem Absattelplatz des Gewinners.»
Solche Momente sind selten genug. In der Regel bewegt sich Elizabeth als öffentliche Person innerhalb einer sehr schmalen Bandbreite, die sie manchmal aussehen lässt, als sei sie jeder Persönlichkeit bar. Das ist der Preis für die ungeheure Diskretion, die wie eine Burgmauer um die britische Monarchie errichtet worden ist. Man kann nicht behaupten, dass dies der Queen besonders ungelegen kommt. Im Gegenteil: Dieser
cordon sanitaire
entspricht ganz und gar dem Graben, den die königliche Familie selbst zwischen sich und alle zur Schau getragenen Gefühlswelten gelegt hat. Ist aber die Monarchie von so viel Diskretion und Zurückhaltung umgeben, dann läuft ihre Trägerin, die Queen, Gefahr, am Ende nicht immer souverän, sondern eher wie eine der Etikette Unterworfene auszusehen. Anders gesagt: Sie gibt mehr an Spontaneität preis, als sie müsste, denn wer, wenn nicht die Herrscherin, wäre berechtigt, einige der Fesseln abzustreifen, die ihr angelegt sind?
Königin Victoria zum Beispiel, die 1837 mit achtzehn Jahren auf den Thron kam, gab in ihrer Anfangszeit lebhafte Beispiele solcher Spontaneität. «Frohsinn und Heiterkeit», so hatte sie schon als Prinzessin geschrieben, seien ihr «Tonikum», ihr Kräftigungsmittel. Schon bei ihrer Inthronisation im Juni 1838 beeindruckte sie die Granden des Königreichs, als sie ihren alternden Onkeln, die zeremoniell vor ihr das Knie beugten, die Hände entgegenstreckte und sie herzlich umarmte. In den Jahren ihrer Ehe, die durch den frühen Tod von Prinzgemahl Albert 1861 jäh ein Ende fanden, warenAusgelassenheit und festliche Unterhaltung an der Tagesordnung. Oft gesehener Gast war Felix Mendelssohn-Bartholdy, dessen Oratorien «Paulus» und «Elias», Letzteres 1846 in Birmingham uraufgeführt, auf der Insel stürmisch gefeiert wurden. Die Königin und ihr Mann waren große Musikliebhaber, sie sangen, spielten gekonnt vierhändig Klavier und luden Mendelssohn bei seinen häufigen Besuchen in Großbritannien zu sich in den Buckingham Palast ein, um mit ihnen zu musizieren. Viele seiner «Lieder ohne Worte» spielte Mendelssohn zum ersten Mal im Beisein des königlichen Paares vor. Er selber hatte von den musikalischen Fähigkeiten seiner Gastgeber eine hohe Meinung – vielleicht nur aus Höflichkeit?
Einhundert und mehr Jahre später geht es mit der Hofetikette in London viktorianischer zu, in jener Bedeutung, die das Wort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann: puritanisch, zurückhaltend, oft unnahbar. Vielleicht ist bei der Erziehung, die Elizabeth erlebte, sowie bei der habituellen Aversion ihrer Generation, sich emotional zu exponieren, nichts anderes zu erwarten. Die Queen ist ja noch dazu erzogen worden, öffentlich Façon zu zeigen, sich zu beherrschen, zum Beispiel nie zu weinen. Mit 25 Jahren auf den Thron gelangt, durch ihre Eltern und die Abdankung des Onkels mit absolutem Pflichtgefühl imprägniert, war sie als junge Frau zu beschäftigt mit dem Erlernen der königlichen Aufgaben, um Platz zu finden für den mütterlichen Umgang mit ihren ersten beiden Kindern. Nach der Rückkehr von ihrer sechsmonatigen Reise durch das Commonwealth 1953/54 widmete sich die Queen als erstes vier Tage lang dem Studium der Staatspapiere und verbrachte einen Tag bei den Pferderennen in Ascot, ehe sie ihren fünfjährigen Sohn «empfing». Sohn und Tochter hatten sich auch privat vor der Mutter zu verbeugen. Als sie heranwuchsen, so erfuhr der Biograf Graham Turner aus
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