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Elizabeth - Tochter der Rosen

Elizabeth - Tochter der Rosen

Titel: Elizabeth - Tochter der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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gewiss tot. Ich machte ein Kreuzzeichen und betete für seine Seele.
    Jeder im Land kannte jemanden, der verschwunden war. Die Furcht hielt die Menschen in Schach und festigte Henrys Herrschaft. Bittsteller und Kläger schraken schweigend vor Henrys Mutter zurück, und nur wenn sie mich ansahen, vergaßen sie für einen Augenblick ihre Sorgen und lächelten. Ich erinnerte sie an die alten Zeiten der Ritterlichkeit unter Papa und Richard, doch jene Welt war mit König Richard in Bosworth gestorben. Mortons ständiger Rat an Henry lautete: »König Richard mit seiner Gnade und Gerechtigkeit war von einem Tag auf den anderen fort, aber Rom überdauerte tausend Jahre, weil es auf Angst gründete.«
    Mich fröstelte.
    Hier war ich nun, allein an diesem Furcht einflößenden Ort, klammerte mich an die Vergangenheit und bemühte mich, die Gegenwart zu ertragen, damit ich die Dunkelheit von HenrysHof mit dem Licht des künftigen Königs Arthur verscheuchen konnte. Einzig seinetwegen fühlte ich mich verpflichtet weiterzuleben. Unter Margaret Beauforts Vormundschaft und ohne mich, die mein Kind die Ideale meines Vaters lehrte, würde Arthur sonst zu einem berechnenden, machthungrigen Tyrannen heranwachsen.
    Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als wir nach Nottingham ritten.
    Nachdem wir am nächsten Morgen in der Burg gefrühstückt und zur Frühmesse in der Kapelle gewesen waren, empfing ich Bittsteller in der großen Halle. Ich trug eines meiner schwarzen Seidenkleider und hatte, wie immer, Thomas’ Brosche an meinen Kragen gesteckt. Und wie jedes Mal schalt Margaret Beaufort mich, weil ich nicht auf der Empore stehen wollte.
    »Du vergisst, dass du Königin bist. Da darfst du nicht wie gemeines Volk mitten im Raum stehen.«
    »Bitte, Mylady Margaret, erlaube mir diese eine Freiheit! Es ist mein Wunsch, mich unters Volk zu mischen.«
    Widerwillig gab sie nach und stellte sich verdrossen neben mich. Dann öffneten die Diener die Türen, und das gemeine Volk strömte herein. Ich bemerkte, wie Margaret Beaufort angewidert die Schultern hochzog, als sich der Raum mit dem Gestank ungewaschener Körper füllte, und konnte nicht umhin, eine gewisse Schadenfreude zu empfinden. Diese Leute waren mein Volk, nicht Henrys, und ich liebte sie, ob gewaschen oder nicht. Für mich wogen Herzen mehr als Edelsteine oder Titel.
    Einer nach dem anderen traten die Leute vor, und ich war entzückt, wie sehr sie sich freuten, mich zu sehen. Ihre Liebe wärmte mir das Herz, und ihre kleinen Gaben rührten mich: Käse, ein Paar Tauben, ein Klavichord. Manche baten mich um Hilfe. Eine Witwe erbat Geld, um ihr Cottage wiederaufzubauen, das von einem Feuer zerstört worden war; ein Kunstschmied, der religiöse Gefäße fertigen wollte, bat um Unterstützung; ein Mann flehte mich um Geld an, um den Arzt für seinen kranken Sohn zu bezahlen.
    Verstohlen blickte ich hinab auf Margaret Beaufort. Sie stand stumm neben mir, sprach kein Wort und zog eine angewiderte Miene. Ich konnte mich einer klammheimlichen Freude ob ihres Elends nicht erwehren, denn für jemanden wie sie, der so viel auf Pomp und Zeremoniell gab, war dies hier sichtlich schwer auszuhalten. Als eine Stunde vergangen war und sich im Vorzimmer immer noch die Leute drängelten, flüsterte sie mir zu, dass sie für einen Moment verschwinden müsse. Und einmal mehr musste ich denken: Gott sei Dank für den Abort!
    Ja, er verschaffte uns auf höchst vielfältige Weise Erleichterung.
    In diesem Augenblick trat ein alter Mann mit weißem Lockenschopf vor. Er kniete sich vor mich und senkte sein Haupt. »Mylady Königin, ich konnte Euch dies vor langer Zeit nicht bringen, als man es mir anvertraute. Mein Pferd wurde lahm, und bis ich bei Euch eintraf, wart Ihr leider schon fort.« Er sprach leise, sodass nur ich ihn hören konnte, und reichte mir ein Buch.
    Beim Anblick des abgegriffenen braunen Ledereinbandes begann ich, am ganzen Leib zu zittern, und blickte zu Boden, damit man mir meine Gefühle nicht ansah. Mir wurde die Kehle so eng, dass ich Mühe hatte, einen Ton herauszubringen.
    Es war Richards Buch, Tristan .
    Das letzte Mal hatte ich es in einem Alkoven in Westminster in Händen gehalten und war von der Fensterbank aufgesprungen, als König Richard zu mir gekommen war. Im Geiste sah ich sein eingefallenes Gesicht vor mir, den unausgesprochenen Schmerz in seinen Augen, als er mich anschaute, und abermalsklopfte mein Herz schneller. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich den

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