Elizabeth - Tochter der Rosen
ohne ihn, der das Licht meiner Tage war, weiterleben?
Ich verließ meine Gemächer und lief die Turmstufen hinunter in den Garten, wo er spielte.
»Sieh nur, was ich habe – einen Vogel!«, rief Arthur jubelnd. Er riss an dem Band, das dem Tierchen um einen Fuß gewickelt war, und zog sie nach unten.
Ich kniete mich vor ihn und rang mir ein Lächeln ab. »Ja, ich sehe ihn, mein Liebling. Komm, lass uns ein wenig zusammen hier sitzen!« Arthur hockte sich in den Schneidersitz, und ich setzte mich ins trockene Gras neben ihn. Dann legte ich einen Arm um seine schmalen Schultern, zog ihn an mich und küsste seine Locken. »Das ist eine hübsche Blaudrossel, die du da hast, mein Herz.«
»Ich habe sie ganz allein eingefangen«, rief er aus. »Sie saß in den Büschen ...« Er drehte sich um und zeigte auf die Sträucher hinter einem Rosenbeet. »Ich habe gesehen, wie sie sich bewegt hat, und mich dann so hingekniet ...« Er hockte sich auf alle viere. »Und Master Bowman hat sie mir gegeben.«
Ich sah den Bogenschützen streng an, woraufhin der Mann errötete.
»Es ist ein schöner Vogel, Arthur, mein Lieber.« Ich streichelte die kleine Drossel, deren Herz viel zu schnell pochte. »Weißt du, warum sie solche Angst hat, mein Kleiner?«
Arthur schüttelte den Kopf.
»Weil sie fürchtet, nie wieder frei zu sein, frei zu fliegen, wohin sie will, frei, den Wind an ihrem Gefieder zu fühlen. Sie fürchtet sich vor der Gefangenschaft.«
»Ist die denn so schlimm?«
»Lass mich nachdenken ... Würde es dir gefallen, wenn man dir sagte, dass du deine Freunde nie wiedersehen darfst? Oder Ball spielen? Oder mit deinem Bogen schießen? Oder mit ausgestreckten Armen durchs Gras laufen und so tun, als könntest du fliegen?«
Arthur schüttelte vehement den Kopf.
»Würde es dir gefallen, wenn ich dich in eine dunkle Kammer stecke, in der du nie die Sonne auf deiner Haut fühlen kannst? Eine Kammer, die so klein ist, dass du kaum ein paar Schritte gehen kannst?«
»Nein!«
Mich suchte eine unerklärliche Traurigkeit heim, als ich den kleinen Vogel streichelte. »Nun, da die Drossel gefangen ist, fürchtet sie all diese Dinge. Freiheit ist ihr Lebenshauch, mein Süßer.« Ich war dem Weinen nahe, deshalb stand ich schnell auf, ehe Arthur es bemerkte. »Du kannst sie gefangen halten, wenn du es so willst, denn du bist ein Prinz und darfst es bestimmen. Aber ich hoffe, dass du an diese kleine Kreatur denkst, die Gott erschuf, auf dass sie frei sei, und ihr gnädig bist.«
Mit einem Nicken zum Bogenschützen verließ ich meinen Sohn, der den Vogel auf seinem Schoß festhielt. Als ich den Turmeingang erreichte, drehte ich mich noch einmal um. Arthur hatte das Band von dem Vogelbein losgewunden. Er hielt die Drossel einen langen Moment in den Händen, ehe er sie hinauf in die Luft warf. Das kleine Tier flatterte himmelwärts, und ich lächelte.
~
Arthur reiste nach Wales ab und ich zur Niederkunft nach Westminster. An der Schwelle des Gemachs, das Margaret Beaufort für mein Wochenbett vorbereitet hatte, hielt ich inne. Eine trübe Finsternis herrschte in dem Raum. Im Kamin brannte ein Feuer, und Kerzen flackerten überall, doch die Fenster waren mit dichten Gobelins verhängt, die jedwedes Tageslicht, frische Luft und Geräusche aussperrten. All das hielt Margaret Beaufort für schädlich. Es fühlt sich wie ein Grab an.
Ich atmete tief ein und trat in den Raum. Hier würde ich für die nächsten vier Wochen gefangen sein, gleich einer Bienenkönigin, die in ihrem Stock brütete: von Wachs gegen jeden Eindringling abgedichtet. Mir blieb nichts, außer zu beten, zu lesen und zu nähen. Und zu warten. Das letzte Mal wurde ich genauso vergraben, nur hatte ich da wenigstens noch meine Mutter, musste ich denken. Die Sehnsucht nach ihr überwältigte mich so sehr, dass ich auf meinem Betstuhl Trost suchte.
Gott musste meine Gebete erhört haben, denn kaum vierundzwanzig Stunden später betrat Margaret Beaufort meine Kammer mit einer Ankündigung.
»Deine Mutter wird zum Hof gebracht, um ihren Verwandten zu empfangen, Francois de Luxembourg, der die französische Gesandtschaft von Charles VIII . anführt.«
»Meine Mutter?«, hauchte ich erstaunt. »Hierher?«
»Errege dich nicht! Sie bleibt nicht lange«, sagte Margaret Beaufort schadenfroh.
Ich zitterte vor freudiger Erwartung, als meine Hofdamen mich in eines meiner schwarzen Kleider mit weiten Ärmeln kleideten und mein Haar mit einer juwelenverzierten
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