Elizabeth - Tochter der Rosen
Nichte.«
Angst packte mich. »Wohin gehst du?«
»Es ist ein wenig schwierig zu erklären und überdies geheim. Du darfst es also niemandem erzählen.«
»Onkel, wem sollte ich es denn erzählen? Ich sehe niemanden außer den Dienern, die Henrys Mutter eingestellt hat, und den Bittstellern, deren Geschenke an mich zuvor untersucht werden.«
Er nahm meine Hand. »Ich weiß, Elizabeth. Dies sind heikle Zeiten. Vielleicht wird es für dich eines Tages anders sein.«
Ich nickte.
»Elizabeth, ich ziehe in den Krieg.«
Ungläubig starrte ich ihn an. »Krieg? Wir haben Frieden!«
»Offiziell, ja. Aber der König steht in der Schuld der Bretagne, weil sie ihm während der harten Jahre seines Exils Schutz boten, und auch in Frankreichs Schuld, die seine Invasion nach England unterstützten. Nun ist es zu Feindseligkeiten zwischen den beiden gekommen, und beide bitten ihn um Hilfe. Er hat ihnen gesagt, dass er unmöglich Partei ergreifen kann, doch er fühlt sich der Bretagne verpflichtet. Deshalb reise ich heimlich mit vierhundert Mannen, um seine Schuld abzutragen. Der König weiß es selbstverständlich, wird es indes leugnen, sollte etwas bekannt werden.«
»Ach, Onkel ...« Mir fehlten die Worten. Dass er mich nicht besuchen kam, war eine Sache, doch war es eine gänzlich andere, sich dem Tod in der Schlacht zu stellen. Womöglich sah ich ihn nie wieder. Manchmal fühlte sich das Leben selbst wie ein immerwährender Krieg an, eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von Verlusten.
Leiser als zuvor sagte er: »Ich war bei deiner Mutter.«
»Wie geht es ihr?«, fragte ich besorgt.
»Sie hält sich. Es ist nicht einfach für sie, umgeben von Nonnen.«
»Ja, ich weiß. Ich bete für sie.« Wir beide mussten schmunzeln, als wir begriffen, wie ironisch diese Worte anmuteten.
»Sie hat keine Besucher, musst du wissen.«
»Keine? Nicht einmal frühere Bedienstete?«
»Angeblich ist es gefährlich, sie zu besuchen, und keiner möchte das Schicksal herausfordern.«
»Was ist mit meinem Bruder Dorset?«, erkundigte ich mich. »Irgendwelche Neuigkeiten, wann er freigelassen wird?«
»Es ist beinahe ein Jahr, doch seine Freilassung steht unmittelbar bevor, Gott sei Dank! Sei jedoch nicht zu hoffnungsfroh, denn er ist bei Hofe nicht willkommen und wird sich künftig sehr bedeckt halten müssen.«
Ich biss mir auf die Lippe. Für eine Weile schwiegen wir beide, ehe wir gemeinsam aufstanden.
»Möge Gott mit dir sein, lieber Onkel!«, sagte ich schweren Herzens.
»Und mit dir, liebe Nichte!«
Als ich vom Fenster aus zusah, wie er durch das Wassertor hinaus und an Bord seines Kahns ging, überkam mich eine schreckliche Trauer, als ahnte ich bereits etwas. Und wenige Monate später erhielt ich die Nachricht: Die Schlacht war verloren worden. Man hatte die bretonische Armee fast vollständig niedergeschlagen. Mein Onkel Edward und sämtliche seiner Männer waren gestorben.
Henry musste sich den Franzosen gegenüber erklären, die ihm vorwarfen, vertragsbrüchig geworden zu sein, und den Engländern, die nach einem Krieg gegen Frankreich schrien, weil englisches Blut vergossen worden war. Eines Abends kam er ohne seine Mutter und sichtlich gramgebeugt in mein Gemach.
»Sing für mich, Elizabeth!«, bat er, sank auf einen Stuhl und stützte die Stirn in eine Hand, sodass sein Gesicht hinter dem strähnigen hellen Haar verborgen war.
Ich wählte die Leier anstelle der Laute, arrangierte die Stofffalten meines schwarzen Kleides über den Knien und stimmte eine gefällige Melodie an. Über der Themse ging die Sonne unter und färbte den Fluss golden. Aus einer nahen Kastanie stob ein Schwarm Drosseln auf, deren Rufe den Chor zu meinem Lied bildeten.
»Du hast eine liebliche Stimme«, bemerkte Henry, nachdem der letzte Akkord verklungen war, und blickte traurig zu mir.
»Was quält dich, Mylord?«, fragte ich und nahm die Hände herunter. Natürlich wusste ich sehr wohl, was ihn bedrückte.
Er stieß einen Seufzer aus. »Wie du weißt, haben sich der junge König Charles VIII . von Frankreich und die zwölfjährige Duchess Anne de Bretagne überworfen, und die Bretagne steht vor dem Ruin. Es dauert mich, das einst so mächtige Herzogtum an Frankreich fallen zu sehen, und ich bin hin- und hergerissen zwischen meiner Verbundenheit mit der Bretagne und der mit Frankreich. Überdies drängen mich Isabella und Ferdinand von Spanien, Frankreich anzugreifen.«
»Was willst du tun?«
»Ich werde die Mittel nehmen, die
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