Elizabeth - Tochter der Rosen
Dreikönigstag nach Wales auf. Aus meinem Zimmer hoch über dem Wasser sah ich zu, wie mein winziger Sohn auf den Kahn gehoben wurde. Als er sich umdrehte und suchend zu meinen Fenstern aufschaute, krampfte sich das Herz in meiner Brust zusammen. Ahnte er, welche Sehnsucht ich nach ihm hatte? Fühlte er genauso? Doch es durfte ihm nicht gestattet werden, sich abhängig zu machen. Auf diesem Kind ruhte die Verantwortung eines Erwachsenen, deshalb musste es lernen, seine Pflicht zu tun. Ich wischte die Tränen fort. Und ich musste lernen, meinen Sohn gehen zu lassen. Möge Gott mir Kraft schenken!, dachte ich.
Mit Arthurs Abreise wurde mein Leben einsam. Trost spendeten mir die Gesellschaft meiner Schwestern an den Abenden, meine Musik, der Säugling und gelegentliche Briefe von Bridget, deren religiöse Studien in der Priorei Dartford gut voranschritten. Dass ich lediglich zu wichtigen Anlässen an den Hof durfte, störte mich kein bisschen, denn mir fehlte das Leben dort nicht. Der Glanz und die Pracht des Hofes bargen Gefahren für jene, die nicht aufpassten. Nicht am Hof zu sein bedeutete für mich, dass ich keine Zuneigung zu Menschen entwickelte, die wegen einer unbedachten Bemerkung von einem Tag auf den anderen verschwanden. Zudem hatte ich mich an meine Gefangenschaft gewöhnt und schätzte die Stille als steten Gefährten. Zwar konnte ich nicht leugnen, einsam zu sein, aber das waren viele andere in Freiheit auch. Und ich hatte Patch, meine Schwestern und meine Erinnerungen. Es wäre eine Sünde, mich zu beklagen.
Derweil wurde Henry zunehmend mürrischer und reizbarer, denn das neue Jahr brachte bedrohliche Nachricht. In Europagab es einen neuen Thronanwärter, der behauptete, mein Bruder Dickon zu sein, und Fortuna auf ihrer Weltkugel geriet abermals ins Wanken. Die Neuigkeit verbreitete sich schnell im ganzen Land und befeuerte den Glauben, dass König Richard meinen Bruder in Sicherheit gebracht und ihn angewiesen hatte, zurückzukehren und seine Krone zu fordern, sobald er erwachsen war. Angst und Schrecken packten England, denn Männer, die Briefe aus Burgund oder Irland erhielten, wurden verhaftet, in den Tower gebracht und gefoltert – wie Johnnie of Gloucester vor Stoke. Ich schloss die Augen und drängte das Bild fort. Da ich den armen Männern nicht helfen konnte, würde ich höchstens wahnsinnig, wenn ich zu viel über ihr Schicksal grübelte.
Ich saß mit meinem Neugeborenen im Sonnenzimmer, sang ein Klagelied und beobachtete Henry, der stumm und verdrossen am Fenster stand. Er war tief in Gedanken versunken. Der junge Thronanwärter war in Irland gelandet, wo er auf Unterstützung hoffte. Doch die irischen Adligen fürchteten Henrys Zorn zu sehr, und so nahm er das Angebot von Charles VIII . an, ihm in Frankreich Zuflucht zu gewähren. Charles wiederum unterrichtete den schottischen König James IV ., dass meine Tante, Margaret of York, Richard über viele Jahre versteckt hatte. Sie hatte einen Bittbrief an den Papst gesandt, er möge ihn offiziell anerkennen, und beschrieben, wie er jenen entrissen worden war, die ihn hatten ermorden wollen. Sie erzählte, er sei unter ihrem Schutz aufgewachsen, wobei sein Aufenthaltsort innerhalb Europas aus Sicherheitsgründen mehrfach gewechselt worden sei. Ich dachte an die Worte von Molinet, dem Chronisten am Hof von Burgund: Er schrieb, dass meine Tante Margaret ihre Brüder, ihren Gemahl und ihre Neffen verloren hatte, von denen die meisten durchs Schwert gestorben waren – aber einer ihrer Neffen lebte.
Es hieß, dass der junge Thronanwärter das exakte Alter vonDickon besaß und das Ebenbild meines Vaters sei, ausgenommen seine Größe, denn er war nicht außergewöhnlich groß. Ich erlaubte mir nicht, darüber nachzudenken, ob es wahr war oder nicht, denn wie ich es auch drehte und wendete, ich sah nichts als Schmerz auf mich zukommen. Wünschte ich mir, dass dieser junge Mann Dickon war, weil es bedeutete, dass mein Bruder lebte, was würde dann aus Arthur? Um König zu sein, musst du einen König töten. Diese Worte, erstmals von meinem Vater über Henry VI . geäußert, hatten König Richard verfolgt, als er vom Verschwinden meines Bruders Edward erfahren hatte. Er hatte nie Böses im Schilde geführt, und dennoch war es eingetreten, weil er den Thron bestiegen hatte.
Ich schluckte meine Angst herunter und sah wieder zu Henry, entzückt vom Lächeln meiner Tochter. Für mich waren Freude und Kummer schon immer Hand in Hand
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