Elizabeth - Tochter der Rosen
beobachtete ich, wie sie mit ihrer Eskorte auf das Haupttor zuritt. Als hätte sie bemerkt, dass wir sie ansahen, drehte Henry Tudors Mutter den Kopf zur Seite und starrte zu uns herauf. Mich fröstelte, denn etwas an dieser Frau war verstörend.
»Du magst sie nicht, stimmt’s?«, fragte die Königin.
Rasch wandte ich den Blick ab. »N-nein, Mylady, so ist es nicht ...«
»Mir brauchst du nichts vorzuspielen, Elizabeth. Wir sind Freundinnen.« Sie tätschelte meine Hand. »Ich frage dich, weil Margaret Beaufort mich gleichfalls beunruhigt.«
»Euer Gnaden ...«
» Anne . Sag Anne zu mir!«
Solchermaßen ermutigt, sprach ich offen aus, was ich noch nie zuvor gesagt hatte. »Ich weiß, dass wir nicht über jene urteilen dürfen, die über uns stehen, und dass es anmaßend von mir ist ... Mylady ... Anne ...« Ich sah wieder zum Normannentor, und erneut überlief mich ein kalter Schauer. »Aber Lady Margaret erschien mir stets kalt und ... und ...«
»Ja?«, fragte die Königin.
»Und ...« Ich suchte nach dem richtigen Wort. »Gefährlich.«
»Lady Stanley hatte die Ehre, bei meiner Krönung meine Schleppe zu tragen, obwohl sie entscheidend an zwei Intrigen gegen meinen Gemahl, den König, beteiligt gewesen war. Er hat ihr beide Male vergeben.«
Ich merkte, wie ich sehr rot wurde. Meine Mutter war an diesen Intrigen genauso beteiligt gewesen wie Margaret Beaufort. Die Königin musste geahnt haben, was ich dachte, denn sie ergriff meine Hand. »Kind, es war weder deine Schuld, noch hast du an den Komplotten mitgewirkt. Eines habe ich im Leben gelernt, nämlich dass wir nur für uns selbst verantwortlich sein können.«
Ich lächelte dankbar. »Und ich habe gelernt, dass der König bei all seiner Strenge im Grunde ein sanfter und gnädiger Mann ist.«
»Zu gnädig, zu sanft und zu leicht mittels gespielter Pietät zu überzeugen.« Die Königin reckte den Kopf und blickte wieder zum Tor.
»Etwas an ihr flößt mir Angst ein«, murmelte ich. »Könnte Lady Stanley im Herzen falsch sein und ihre Frömmigkeit benutzen, anderen ihren Willen aufzuzwingen?«
»Meine liebe Elizabeth«, seufzte die Königin, »du bist sehrweise für deine jungen Jahre. Ihre Taten zeugen von Falschheit. Ich weiß, dass uns anderes gesagt wird, doch ich glaube schon seit Langem, dass es unsere Taten sind, nicht unsere Worte, nach denen wir einst beurteilt werden.«
»Ich bin nicht einmal sicher, dass sie überhaupt eine ...« Die Worte kamen mir unbedacht über die Lippen, und ich konnte mich erst im letzten Moment zügeln. Schamrot und verwirrt sah ich hinab zu meinen Händen. »Nein, ich rede närrisch.«
»Ich bezweifle ebenfalls, dass Margaret Beaufort eine Vision hatte.«
Erstaunt blickte ich zu ihr auf.
»Sie ist eine sehr weltliche und ehrgeizige Frau, nicht zu vergessen eine äußerst intelligente«, fuhr Königin Anne fort. »Mit zwölf Jahren wurde ihr gesagt, sie solle den faden Suffolk heiraten, doch sie wollte den hübschen Edward Tudor. Wie konnte sie es besser erreichen als mit der Behauptung, der heilige Nikolaus wäre ihr in einer Vision erschienen und hätte verlangt, dass sie eine Tudor wird? Klug genug ist sie allemal, sich solch eine Geschichte auszudenken. Sie gilt als gelehrt und hat eine Vorliebe für das Übersetzen französischer Schriften. Nichts übersteigt ihren Verstand.«
»Ich glaube, diejenigen, die wahrhaftig eine Vision haben, würden sie eher für sich behalten, ähnlich einem kostbaren Schatz. Sie würden nicht offen damit prahlen, um von anderen bewundert zu werden.«
»Dennoch wünschte ich mir, ich würde mich irren«, sagte die Königin seufzend. »Es wäre besser für meinen Gemahl. Falls sie uns nicht täuscht, muss sie ohne Sünde sein. Sonst hätte Gott sie nicht für solch eine Ehre erwählt.«
»Nein, Mylady, so muss es nicht sein! Gott gewährt auch Sündern Visionen, denn Paulus hatte seine, als er Christen verfolgte.« Ich zögerte, ehe ich der Königin noch eines meiner Geheimnisse offenbarte, denn ich hoffte, dass es sie trösten könnte. »Und ich hatte eine.« Verlegen schwieg ich sofort wieder.
»Heilige Mutter Gottes.« Die Königin lächelte. »Muss ich dir jedes Wort mühsam entlocken, Elizabeth?«
Ich nahm meinen Mut zusammen. Seit Marys Tod hatte ich keine enge Freundin mehr gehabt, und es fühlte sich gut an, offen sprechen zu dürfen. »Es war in Westminster, nachdem meine Schwester Mary starb.« Ich erzählte ihr, was ich am Fluss
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