Elizabeth - Tochter der Rosen
Ulme weiter hinten, deren breite, ausladende Äste denen des Baumes in Middleham ähnelten, an dem Neds Zielscheibe gehangen hatte.
Königin Annes Stimme verebbte zu einem Flüstern. »Ned gehört meine Liebe, und ich bewahre seine ... hier.« Sie legte eine Hand an ihren Busen. »Solange ich lebe, vergesse ich seine Liebe nicht.« Plötzlich stieß sie einen stummen Schrei aus.
»Madame! Madame!«, rief ich. »Was habt Ihr?« Ich schlang die Arme um sie, damit sie nicht von der Fensterbank stürzte. Neuerdings plagte sie immer häufiger Übelkeit. Diesmal jedoch beruhigte sie sich bald wieder, auch wenn ihr Atem sehr flach ging.
»Es ist ... nichts ... nur ein vorübergehender Schmerz«, erklärte die Königin stockend. Dann sah sie mich mit einem komischen Blick an und hauchte: »Du hast die Augen deinesVaters ... nur dass sich deine manchmal dunkler färben. Wenn du aufgewühlt bist, werden sie violett, wie meine.« Sie holte tief Luft. »Nun habe ich etwas zu sagen, und dann musst du mir ein Versprechen geben.«
»Jedes, Madame.«
»Hör auf ... mich ... Madame zu nennen! Ich bin Anne.«
»Ja, Mylady Anne.«
»Wir müssen planen ... für die Zukunft.«
»Die Zukunft?«
»Deine ... und Richards.«
Ich starrte sie entgeistert an.
»Es ist nicht Sir Thomas Stafford, den du liebst, mein Kind. Du liebst Richard. Ich erkenne es an der Art, wie du ihn ansiehst ... Meine Kräfte schwinden mit jedem Tag mehr. Es dauert nicht mehr lange ... das weiß ich.« Ihre Stimme war ein schwaches Zittern. »Manche Tage sind ... schwierig. Ich möchte beruhigt sein, was meinen König betrifft. Dann kann ich loslassen. Du hast recht, liebe Elizabeth. Er ist schrecklich allein.« Sie sah wieder zu der Ulme und bekam glasige Augen. »Allein und von so viel Hass umgeben.« Sie stockte. »Die Schwere, die ich an ihm fühle, lässt sich einzig mittels Liebe vertreiben.« Nun sah sie mich an und berührte meine Wange. »Er wird nicht überleben, Elizabeth ... ohne Liebe. Du musst aufhören, deine Empfindungen für ihn zu leugnen ... Du musst ihn trösten, ihm helfen. Er wird dich brauchen.«
Während ich sie ansah, geschah etwas in mir. Ich fühlte mich, als wären die dunklen Läden vor einem Fenster in meinem Innern aufgeworfen worden, sodass strahlendes Licht hineinströmte. Die schlaflosen Nächte, das Herzpochen, wann immer sich König Richard näherte; meine Schüchternheit in seiner Gegenwart; all dies wurde auf einmal klar. Ich staunte, dass ich es erst jetzt begriff.
»Aber ich bin seine Nichte.«
»Eleanor von Aquitanien war die Nichte Raymonds von Antiochia, als sie sich verliebten. Es konnte sie nicht aufhalten.«
»Doch sie haben nicht geheiratet!«
»Nur weil sie beide bereits mit anderen verheiratet waren. Aber du bist frei ... und bald wird Richard ebenfalls frei sein.«
»Wir dürfen einander nicht heiraten, Mylady!«
Die Königin legte die Hände auf meine Schultern. »Du musst ihn heiraten. Bei all dem Kummer braucht er Trost. Wir sind uns so ähnlich, Elizabeth. Mit dir an seiner Seite kann er alles ertragen, was er ertragen muss.« Sie war außer Atem vom vielen Sprechen.
»Ihr habt recht. Ich bin ihm zugetan. Das erkenne ich jetzt«, sagte ich leise. »Doch es macht keinen Unterschied. Er ist mein Onkel. Es darf nicht sein!«
»Verweigerst du mir einen Grund zu leben?«, fragte die Königin tränenerstickt.
»Mylady Königin, was meint Ihr?«, rief ich aus. »Wie könnt Ihr das sagen? Ich würde alles tun, was ich kann, damit Ihr lebt.«
»Hör mir zu, Kind!« Sie ergriff meine Hand. »Jedes Mal, wenn jemand stirbt, den wir lieben, nimmt er einen Teil von uns mit sich. Du musst einen Weg finden zu leben. Du musst entscheiden, wofür du einstehen, wofür du kämpfen, wofür du sterben willst ... Für mich bist du mein Abschiedsgeschenk an meinen Gemahl, das ihn vor Einsamkeit und Zerstörung bewahren wird. Verwehre mir die Chance nicht, ihn zu retten, sonst raubst du mir meine letzte Hoffnung, alles, was meinem Leben Sinn verleiht!«
Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Ich wusste nicht, was ich denken oder sagen sollte, deshalb schwieg ich.
Als die Königin fortfuhr, klang ihre Stimme wie aus weiter Ferne. »Du hast meinen Segen, Elizabeth ... Und jetzt habenwir Arbeit zu erledigen. Richard muss sich um zu vieles kümmern, aber er wünscht sich, dass die Weihnachtsfeier in diesem Jahr besonders strahlend wird ...« Sie zögerte und rang
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