Elizabeth - Tochter der Rosen
alles verschwamm vor meinen Augen. Eine andere Stimme drang an mein Ohr, die so leise war, dass ich im ersten Moment glaubte, ich würde die Worte träumen. »König Richard und seine siebzig Ritter kämpften erbittert bis zum Letzten, doch die Gegner waren ihnen viel zu überlegen. Sie kämpften einer gegen achtzig.«
»Einer gegen achtzig ...«, wiederholte ich, ohne es begreifen zu können. In meinen Schläfen pochte ein schrecklicher Schmerz. »Einer gegen achtzig? Einer gegen achtzig ...« Als die Worte in meinem Kopf explodierten, hielt ich mir die Ohren zu. Wie durch einen Nebel bemerkte ich, dass der Mann vor mir mit einem anderen einen Blick wechselte. Dann berührte eine Frau meinen Arm.
»Mylady, lasst mich Euch nach drinnen bringen! Ihr habt einen Schock erlitten ... wie wir alle, meine Gute ...«
Während ich stumm vor Entsetzen in meiner Kammer hockte, erzählte Johnnie mir die ganze Geschichte.
Richard war mit seiner Krone auf dem Kopf in die Schlacht gezogen und so ein leichtes Ziel für den Gegner gewesen. Als wäre sein weißes Pferd nicht schon auffällig genug gewesen! Dennoch war er nicht gefallen, und deshalb forderte er den Tod heraus, indem er hinter die feindlichen Linien ritt, um gegen Tudor selbst zu kämpfen. Sir William Stanley fand Richards Krone in einem Dornenbusch und setzte sie Tudor unter dem jubelnden Rufen seiner Männer – »König Henry! König Henry!« – auf.
Richard war also tot und Tudor König.
Was nun?
Vom Korridor draußen waren eilige Schritte von Dienern, Pagen und Waffenknechten zu hören, die allesamt von der Niederlage in die verzweifelte Flucht getrieben worden waren. Derweil versank die Welt für mich in einem dichten Nebel. Wohin sollte ich gehen? Und was scherte es mich überhaupt? Richard war tot. Richard war tot ...
Jemand zog mich nach draußen, wo ein Pferd vor mir wieherte. »Nein!«, hörte ich mich matt sagen. »Ich muss bleiben, damit das Blutvergießen ein Ende hat. Versteht ihr denn nicht? Es muss sein!«
Eine Gruppe dunkler Reiter näherte sich. Ich sah nur ihreSchatten im Zwielicht, als sie in den Hof geritten kamen und abstiegen. Einer von ihnen, der noch dunkler wirkte als die anderen, trat vor und verbeugte sich. Ich blinzelte, um ihn besser zu sehen, doch das nützte nichts. Sein Gesicht blieb im Schatten verborgen.
»Sir Robert Willoughby, Mylady«, stellte er sich vor.
Aus purer Gewohnheit reichte ich ihm die Hand. »Seid willkommen«, sagte ich, erkannte allerdings meine eigene Stimme nicht, so fremd klang sie.
»Seid willkommen ... willkommen ... Achtzig Mal willkommen ... einer gegen achtzig ... willkommen ... willkommen«, murmelte ich benommen. »König Richard ist tot.«
KAPITEL 11
Der Sieger · 1485
I CH DRÜCKTE EINE Hand gegen meine Stirn, um den pochenden Schmerz zu lindern. Mühsam stützte ich mich auf die Ellbogen auf und schaute mich um. Es war dunkel, und ich stellte fest, dass ich in einer schwankenden Sänfte lag. Nachdem ich die Vorhänge an einer Seite zurückgezogen hatte, blickte ich hinaus. Zwei Fremde, ein Mann und eine Frau, ritten neben mir.
»Wer seid Ihr? Wo sind John of Gloucester und der Earl of Warwick?«, fragte ich. »Wo sind wir?«
Sie sahen einander an, dann antwortete die Frau: »Wir nähern uns London. Vor etwa einer halben Stunde kamen wir durch Barnet.«
Nichts kam mir vertraut vor. Mein Blick fiel auf den roten Drachen, der auf der Tunika des Mannes leuchtete. Was für ein Wappen war das? Ich hatte es noch nie zuvor gesehen. Ich schaute nach vorn: Sämtliche Waffenknechte trugen dasselbe Zeichen.
»Wohin wollen wir?«, fragte ich. Seltsam wirre und beängstigende Erinnerungen schwirrten mir durch den schmerzenden Kopf. Ich entsann mich, geträumt zu haben, dass Richard die Schlacht verloren hatte, und blinzelte.
»Wohin wollen wir?«, wiederholte ich, und vor lauter Furcht wurde mir die Kehle eng.
Nach anfänglichem Zögern antwortete die Frau: »Zum Tower.« Ihre weiche Stimme machte mich frösteln.
Ich blickte sie verständnislos an. »Aber der König zieht Westminster vor.«
»Nicht dieser König«, erwiderte sie kichernd. Wieder wechselte sie einen Blick mit dem Mann, der neben ihr ritt. Er grinste.
»Wo sind meine Cousins?«, fragte ich betont streng, um meine Angst zu verbergen.
Schweigen. Dann sagte der Mann: »Ruht Euch lieber aus, Mylady. Es war eine schwierige Reise für Euch. Ihr wart krank, und Ihr braucht Eure Kraft, möchte ich
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