Elizabeth - Tochter der Rosen
meinen.« Sein Akzent klang fremd und vertraut zugleich. Er erinnerte mich an jemanden, doch an wen? Wie ein Blitz aus heiterem Himmel ging es mir auf: Dr. Lewis! Der Waliser aus dem Kloster und Margaret Beauforts Arzt.
Mit zitternder Hand ließ ich den Vorhang wieder los. Sobald ich allein in der Dunkelheit war, schloss ich die Augen, atmete tief ein und neigte den Kopf. In den letzten Monaten waren meine Gedanken beim Beten stets bei Richard gewesen. Nun erschien mir im Geiste wieder sein Gesicht, doch es war weit entfernt, und in seinen grauen Augen lag ein Ausdruck von großem Kummer. Ein Schwert erhob sich über ihm; es glänzte wie ein Kruzifix. Dann wurde es nach unten gerammt. Wieder pochte es in meinem Kopf, sodass ich stöhnte.
Als ich die Augen zu öffnen wagte, ging die Sonne auf. Kirchenglocken läuteten, und die weißen Türme des Towers von London schimmerten im rosigen ersten Morgenlicht. Hinter der Burg glitzerte die Themse wie ein dunkler Saphir. Mein Wagen kam rumpelnd auf dem gepflasterten Burghof zum Stehen. Ich warf die Vorhänge zurück und wollte aussteigen.
»Ihr bleibt nicht hier«, erklärte die Frau.
»Warum halten wir dann?«
»Wir halten für den Earl of Warwick und John of Gloucester.«
Ich stutzte. Warum ihretwegen und nicht meinetwegen? Nichts ergab einen Sinn. Angestrengt sah ich nach vorn, wo eine Gruppe von Waffenknechten abstieg. In ihrer Mitte entdeckte ich den goldenen Haarschopf des kleinen Earl of Warwick. »Edward! Edward!«, rief ich. Er drehte sich zu mir um. Einer der Männer neben ihm sagte etwas, und Edward wirkte zutiefst unglücklich. Er nickte mir zu und ging nach drinnen. O, gütiger Gott!, dachte ich plötzlich, Edward ist ein Plantagenet in direkter männlicher Linie! Ich bekreuzigte mich.
Wenigstens war Johnnie sicher. Er war ein uneheliches Kind und mithin für niemanden eine Bedrohung. Ich schaute mich suchend nach ihm um, konnte ihn jedoch nirgends sehen. Vielleicht wenn ich hineinginge ...
»Ich müsste auf den Abort«, sagte ich und stieg aus der Sänfte.
»Ich gehe mit Euch«, bot die Frau eilig an.
»Ihr könnt hier warten. Ich kenne den Weg.« Ich machte einen Schritt vorwärts, doch sie stellte sich mir sofort in den Weg. »Nein, Mylady, das ist Euch nicht gestattet.«
»Was meint Ihr?«
»Befehle, Mylady.«
»Wessen Befehle?«
»Des Königs.«
»Des Königs?«
»König Henry. Er bat uns, Euch nach Westminster zu bringen.«
König Henry.
Heilige Maria, Mutter Gottes.
Das Pochen in meinem Kopf schwoll zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Ich kniff die Augen zu und grub die Fingernägel in die Handinnenflächen. Stumm rief ich die heilige Jungfrau Maria um Hilfe an, und als hätte der Himmel mein Flehen erhört, kam mir ein Gedanke: Aber Tudor schwor, mich zu h eiraten. Ich werde Königin, und wenn ich Königin bin, widerfährt Edward nichts. Alle werden sicher sein, denn ich vereine die weiße Rose mit der roten und beende das Blutvergießen, wie Richard es wünschte.
Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, nickte ich der Frau zu, die sich umdrehte und mir zum Abort folgte.
~
Auf dem Weg nach Westminster machten wir an Baynard’s Castle halt, um einige Erfrischungen zu uns zu nehmen.
Wo Richard die Krone annahm , dachte ich. Ich lehnte den Wein ab und blieb in meiner Sänfte. Während ich dort allein meinen Erinnerungen nachhing, schreckte mich das Wiehern eines Pferdes auf. Kurz darauf wurde der Vorhang zurückgezogen. Es war Sir Robert Willoughby.
»Mylady, ich hoffe, die Reise war nicht unangemessen beschwerlich für Euch.«
Ich senkte den Blick. »Ich erinnere mich nicht.«
»Der König ist schon hier, im Bischofspalast, aber er will uns nicht sehen.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Eure Ankunft soll unbemerkt vonstatten gehen, denn vorerst möchte er kein Zeremoniell. Ihr sollt nach Westminster und in die Obhut Eurer Mutter übergeben werden. Später will der König nach Euch schicken.«
Er hatte nichts über die Heirat gesagt, wie mir auffiel. Dank sei der Jungfrau Maria. Ein wenig Aufschub – mir ist noch etwas Zeit vergönnt, dachte ich .
In Westminster wurde ich von einer kleineren Abordnung Waffenknechte zu meiner Mutter eskortiert. Die Wiedervereinigung mit meiner Familie fiel verhalten freudig aus. »Mutter!«, rief ich und umarmte sie. Sie hatte sich verändert. War sie früher stetseher robust gewesen, wirkte sie nun beinahe zerbrechlich. Andererseits hatte sie manches erleiden müssen. Mitgefühl
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