Elke im Seewind
ganz leise zittert, als wenn da jemand wäre, der in es hineinbliese, aber es ist niemand da- -.
Eine ganze Weile herrscht jetzt Schweigen. Man hört nur das ferne Rauschen des Meeres und von irgendwoher das Schreien der Möwen.
Fräulein Brunkhorst legt ihre eine Hand auf Lottis kalte, rote, zitterige Hände. Das Mädel rührt sich nicht. Nichts an ihr läßt erkennen, wie sie die mahnenden Worte der Lehrerin aufgenommen hat.
Lotti sitzt und starrt vor sich hin. Noch immer turnt der Käfer an seiner Grasrispe herum, noch immer zittert das Büschel Strandhafer. — Aber plötzlich springt das Kind auf, steht mit flammenden Augen vor Fräulein Brunkhorst und sagt, wild aufbegehrend: „Wenn ich das soll — wenn ich Elke selber sagen soll, ich hab’ ihre Uhr weggenommen — das tu ich nicht — nein, das tu ich nicht!“ Die Lehrerin blickt verwundert. Sie hat doch gar nicht davon gesprochen, daß es schön wäre, wenn Lotti sich dazu überwinden könnte, Elke gegenüber ihre Schuld selber einzugestehen. Sie hat es nur gedacht.
Das Kind spricht weiter: „Sie brauchen mir gar nicht zu sagen, daß ich das soll. Ich kann das nicht — alle wissen dann, daß ich gestohlen hab’, und sie stoßen sich an, wenn sie mich sehen - -“ Und plötzlich wieder in verzweifeltes Weinen ausbrechend, fährt Lotti fort: „Bitte, Fräulein Brunkhorst, ach bitte, sagen Sie es niemand — Elke kriegt ihre Uhr ja wieder!“
Die Lehrerin ist nun selber auch aufgestanden und nimmt das erregte Kind in den Arm. „Wir wollen alles in Ruhe überlegen, Lotti. Bis dahin, verspreche ich dir, soll keine von deinen Kameradinnen etwas erfahren.“
Kaum hat Fräulein Brunkhorst das gesagt, als von drüben links, von dem Gipfel des höchsten Sandberges in diesem Dünengelände, lautes, fröhliches Rufen ertönt. Elke, die strahlend weiß gekleidete Elke ist es, die da ruft und winkt. Die Kinder der Spielschar Robinson sind ausgeschwärmt, um Fräulein Brunkhorst. zu suchen, und Elke hat das Glück gehabt, sie als erste zu entdecken. Wenige Minuten später ist sie bei der Lehrerin und Lotti angelangt. Sie erkennt natürlich sofort, daß Lotti geweint hat, und ihr Mitgefühl wird lebendig. Ist Lotti wieder krank geworden? Es ist alles so schön heute, so herrlich, es hat nicht geregnet, und alles hat so gut geklappt — aber Lotti hat geweint.
Laut sagt sie: „Wie schade, daß du geweint hast. Alle sagen, daß du es als Wildenfrau so fein gemacht hast. Du hast so süß ausgesehen mit deinen langen schwarzen Federn und mit Silber auf dem Kopf. Und nun--“
Elke wird ein wenig ratlos, als sie Fräulein Brunkhorsts ernstes Gesicht sieht. Auch Lotti sieht so ganz anders als sonst aus. Ist etwas Schlimmes geschehen? Aber — an diesem Tag? Das kann doch gar nicht seinl Schon hat Elke Lotti umgefaßt und schüttelt die Kameradin, als wenn sie ihren eigenen frohen Mut in ihr wachschütteln wollte. „Du--“, sagt sie, wie ein Kätzchen schmeichelnd.
In diesem Augenblick geschieht etwas Seltsames. Dieselbe Lotti, die soeben noch flehentlich darum gebeten hat, daß das Unrecht, das sie begangen hat, verschwiegen werden möchte, sagt jetzt ganz ruhig zu Elke: „Elke — entschuldige bitte — ich bin das gewesen — ich hab’ dir deine Uhr weggenommen — ich hab’ sie aber noch, du kriegst sie wieder.“
Elke läßt den Arm von Lottis Schulter gleiten und steht verwirrt da. Dann formen sich ihre Lippen zu einem hilflosen kleinen Lächeln. Oh, es ist so gut gemeint, dieses Lächeln —, es ist ein so rührendes, kleines Lächeln - - Fräulein Brunkhorst scheut sich, es durch ein Wort zu erschrecken und reicht Elke schweigend ihre Uhr.
Man sieht Elke an, daß sie sich sehr darüber freut, ihre Uhr wieder zu haben, aber auch jetzt kommt ihr noch kein Wort über die Lippen.
Lotti weint plötzlich laut auf.
Da nimmt Elke das Mädel erneut um die Schulter und sagt: „Nein, Lotti, nicht — bitte nicht — das mit der Uhr ist nicht so schlimm — ich hab’ sie ja wieder — — du hast mir vielleicht nur einen Streich spielen wollen, und dann wolltest du das nicht sagen, weil wir alle so wütend waren, wie die Uhr weg war."
Eine neue große Versuchung ist durch Elkes Worte an Lotti herangetreten, und die Lehrerin blickt besorgt. Wird Lotti jetzt die gute Gelegenheit benützen und so tun, als wenn sie Elke wirklich nur hätte einen Streich spielen wollen?
Aber da schüttelt Lotti auch schon den Kopf. Sie sieht Elke dabei wie von weither an.
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