Elkes Sommer im Sonnenhof
und
mit Bindfäden als Saiten. Damit setzte sie sich gegen Abend an ein Fenster der
Burg und sang. Ganz wunderschön sang sie mit ihrer weichen, etwas tiefen Stimme
alle Volkslieder, die sie kannte. Und wer sie hörte, bemerkte es kaum, daß ihre
Laute keinen Klang hatte, so innig und wohllautend war ihr Singen.
Wenn in den Liedern etwas von Liebe vorkam, sang
auch Elke mit. Elke war nämlich nur noch Ritterfräulein in diesen Tagen. Sie
hatte kaum Lust, einen Brief nach Hause zu schreiben, und wenn sie ans Telefon
gerufen wurde, weil einer ihrer Angehörigen in Hamburg sie zu sprechen wünschte,
dann knurrte sie etwas von „neumodischer Erfindung“.
Und zu einem Ritterfräulein gehörte doch die
Liebe! In allen Rittergeschichten, die sie kannte, spielte es eine große Rolle,
daß ein Ritter und ein Ritterfräulein sich unglücklich liebten.
Schade, daß Achim noch so klein war! Herr Berge,
der Hauslehrer, bot sich zwar einmal an, die Rolle des unglücklich geliebten
Ritters zu übernehmen. Aber für einen Ritter, der sächsisch sprach und eine
Glatze hatte, war Elke nicht zu haben.
Aber es war auch so schön! Achim machte alles
mit, was von ihm verlangt wurde, und der Knappe Emil kam jeden Tag mit neuen
Vorschlagen für ihr ritterliches Dasein. Sie zogen zu viert mit Ali und dem
alten Dobermann Udo auf Falkenjagd, und der Falke, der Elke auf der Faust saß,
war eine zahme Taube, die Emils Großvater gehörte. Sie bauten sich drüben in
der Birkenwildnis einen Aussichtsturm, auf dem sie nach Räubern Ausschau halten
konnten, und ließen aus Papptrompeten schmetternde Fanfarenklänge erschallen.
Es war ein herrliches Leben!
ALLERLEI
GETIER
Eines war durch das Ritterspielen klargeworden:
Elke mußte reiten lernen! Es ging nicht an, daß sie als Burgfräulein nicht
reiten konnte. Also los! Hinauf aufs Pferd!
Achims Vater übernahm selbst Elkes Ausbildung.
Da er immer schon um acht Uhr morgens mit dem Auto wegfuhr zu seinen Ziegeleien
oder nach Lübeck, wo er sein Büro hatte, und abends meistens erst gegen sieben
Uhr nach dem Sonnenhof zurückkehrte, mußte der Reitunterricht frühmorgens
stattfinden.
Elke mußte manchmal schon um fünf Uhr früh aus
den Federn. Und dann ging’s los drüben auf den Sandwegen rund um den kleinen
See, in dem auch gebadet wurde.
Elke in Reithosen und hohen Stiefeln gefiel sich
großartig, wenn sie vor dem Spiegel stand und sich in ihrer neuen Pracht beguckte.
Freilich, vor dem Spiegel gefiel sie sich erst
mal besser als auf dem Pferd. Es war eine höchst ungemütliche Sache, auf dem
glatten, rutschigen Sattel zu sitzen, und der Pferderücken war so breit! Und
überhaupt auf das Pferd hinaufzukommen, das war allein schon ein Kunststück.
Die ersten zwei, drei Male hatte Onkel Hannes ihr dabei geholfen, aber nun
mußte sie selber sehen, wie sie in die Steigbügel kam. Nur gut, daß sie lange
Beine hatte.
Onkel Hannes war ein strenger Lehrmeister, und
Elke mußte oft die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht losheulte.
„Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß du
dich nicht an den Zügeln festhalten darfst! Sitz doch ruhig! Du zappelst ja wie
ein Hampelmann mit den Armen und Beinen herum! Was machst du wieder für einen
krummen Rücken! Du sitzt da wie ‘n Affe auf ‘m Schaukelpferd!“
Ja, wenn es so leicht gewesen wäre, alles gleich
richtig zu machen! Elke bemühte sich wirklich, alles zu tun, was von ihr
verlangt wurde, aber sie brachte es einfach nicht fertig. Ihr Körper wollte ihr
nicht gehorchen.
Achim war bei den morgendlichen Reitübungen
natürlich dabei, und er sparte auch nicht mit guten Lehren. „Du mußt das Kreuz
ordentlich durchdrücken, damit du beim Traben senkrecht in die Höhe kommst.
Sieh mal her, wie ich es mache. Es ist ganz leicht!“ erklärte er.
Du kannst gut reden, du reitest seit zwei
Jahren! dachte Elke grimmig. Sie verdoppelte aber doch jedesmal ihre
Anstrengungen, wenn Achim irgendeine Bemerkung gemacht hatte. Sie wollte nichts
schlechter können als er!
Elke hielt sich tapfer. Dennoch rollten ihr dann
und wann ein paar dicke Tränen über die Backen; Onkel Hannes tat aber, als sähe
er das nicht. Er war selbst ein guter Reiter und war der Ansicht, daß niemand
ordentlich reiten lernen konnte, der nicht tüchtig gezwiebelt wurde. Und Elke
sollte gut reiten lernen! Das wollte er. Sie war ein so feines Mädel voll
Schwung und Mut. Von ihr konnte man schon etwas verlangen. Es wäre doch ein
Jammer, wenn sie es nicht
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