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Elli gibt den Loeffel ab

Elli gibt den Loeffel ab

Titel: Elli gibt den Loeffel ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Hennig
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Internet, wo man Filme bequem »on demand« auf Neudeutsch »downloaden« konnte, ganz zu schweigen — einfach nicht mehr zeitgemäß, noch dazu in einer Kleinstadt wie Rosenheim.
    Wer hätte in den Sechzigern schon daran gedacht, dass ein Filmpalast jemals pleitegehen könnte? Es hatte ja nur zwei Kanäle im Deutschen Fernsehen gegeben und mehrere Jahre gedauert, bis man einen Kinofilm in den eigenen vier Wänden sehen konnte. Roter Teppich, ade! Keine Einladungen mehr von den großen Filmverleihern. Kein Buhlen mehr um die kleinen Kinobesitzer. Ganz im Gegenteil, die Distributoren hatten sie mit ihren Multiplex-Kinos regelrecht in den Ruin getrieben. Am besten gar nicht mehr daran denken, aber ausgerechnet heute lag Der letzte Kaiser in der Rückgabebox, in welche die Kunden die ausgeliehenen Filme auch nach Ladenschluss einwerfen konnten. Ein großartiger Film und zugleich der letzte, den sie und Josef in ihrem Kino gezeigt hatten. Auf der Suche nach der richtigen Stelle in der Regalwand hatte Elli schlagartig Bernardo Bertoluccis Meisterwerk vor Augen — leider auch eines der schwärzesten Jahre ihres Lebens: 1989. Sie hatten ihr Kino verkaufen müssen, und zwei Monate später war Josef einem Herzinfarkt erlegen.
    Wenn doch nur ein Kunde hereinkommen würde, um mich auf andere Gedanken zu bringen, hoffte sie inständig. Nichts war schlimmer, als sich aus Mangel an Beschäftigung in der Vergangenheit festzufressen. Selbst eine telefonische Anfrage von jemandem, der nach einem bestimmten Film suchte, von dem er weder den Titel noch den Namen der Schauspieler kannte, würde sie jetzt sicher aufmuntern. Ein wandelndes Filmlexikon zu sein, gab einem zudem das Gefühl, noch gebraucht zu werden. Statt des erhofften Anrufs schob sich eine pathetisch dunkle Regenwolke über das Viertel, in dem ihr Laden lag, und machte den Tag zur Nacht — nahezu perfekt inszeniert. Das Telefon klingelte. Anscheinend hatte jemand über der Wolke ihr heimliches Stoßgebet erhört.
    »Movietime, Sattler, guten Tag«, meldete sie sich wie immer betont freundlich.
    »Morgen, Elli. Ich bin gerade im Ginos. Kommst du auf einen Kaffee vorbei?«, fragte sie die vertraute Stimme ihrer besten Freundin.
    »Jetzt?« Warum um alles in der Welt wollte Frieda mit ihr um diese Uhrzeit Kaffee trinken? Sollte sie einfach so den Laden zusperren? Andererseits — vor zwölf kam wahrscheinlich sowieso niemand vorbei, und Friedas Einladung wirkte irgendwie dringlich.

    Eine italienische Bar wirkte merkwürdigerweise auch dann noch einladend, wenn es aus allen Kübeln schüttete. Normalerweise würde Ginos überirdisch cremiger Cappuccino ihnen einen der gemeinsamen freien Sonntagnachmittage auf der sonnigen, palmgesäumten Terrasse versüßen. »Piazza-Feeling« pur. Italienisches Flair und gutes Publikum machten das Ginos zu einem der beliebtesten Cafes am Ort. Elli hatte sich schon oft gefragt, warum es sie dort Woche für Woche hinzog. Aus purer Nostalgie? Waren es gute Erinnerungen an die zahlreichen Italienurlaube in ihrer Kindheit?
    Gino hatte da eine ganz andere Theorie. »Du hast in einem früheren Leben schon mal in Italien gelebt«, erklärte er ihr, felsenfest davon überzeugt. Auch Frieda hatte ihr bestätigt, dass sie mit ihren 1,65 Metern, den gelockten Haaren und den braunen Augen jederzeit als »Italo-Braut«, wie ihre Freundin sie wörtlich genannt hatte, durchgehen konnte. Angesichts des Wolkenbruches fühlte sie sich im
    Moment aber eher wie ein begossener deutscher Pudel. Da gab es nur eines: im Slalom und im Tempo einer Rosi Mittermaier auf Medaillenkurs so schnell wie möglich hinein in die Kaffeebar. Geschafft, doch auch im Innenbereich war kein Hauch mehr von »Bella Italia« zu spüren. Abgesehen von einem Geschäftsmann, der eifrig auf der Tastatur seines Notebooks herumtippte, war nur noch Frieda im hinteren Restaurantbereich ausfindig zu machen.
    »Morgen, Elli«, begrüßte ihre burschikos wirkende, pummelige beste Freundin sie. Friedas ungewöhnlich ernste Miene erweckte den Eindruck, also könnte sie selbst ebenfalls Aufmunterung gebrauchen.
    »Was ist denn mit dir los? Du schaust ja aus wie schon mal gegessen.«
    »Am besten, du setzt dich«, erwiderte Frieda mit bedeutsamem Unterton.
    In einem schlechten Film würde angesichts von Friedas Leidensmiene jetzt der Moment nahen, in dem ihr die Freundin eröffnete, dass sie an einer unheilbaren Krankheit litt oder dass ihr Ehemann sie verlassen hatte. Elli hoffte inständig, in

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