Elli gibt den Loeffel ab
Grübelei, die sich nicht mal durch die beschäftigungstherapeutisch durchaus sinnvolle Generalreinigung der DVD-Regale abstellen ließ, nicht zu beantworten. Allerdings hatte sie den angenehmen Effekt, dass Elli sich ganz nebenbei Gedanken darüber machte, woher die Redewendung mit dem Löffel wohl stammte.
Recherchen waren neben Putzen erfahrungsgemäß die ideale Beschäftigung, um sich abzulenken. Wenn man den Quellen im Internet trauen durfte, hatten im Mittelalter weniger wohlhabende Menschen angeblich immer und überall ihren eigenen Löffel dabei, den sie kurz vor ihrem Tod an jemand anderen Weitergaben. Erstaunlich, dass sich diese Tradition anscheinend auch in Ellis eigener Familie in Form eines goldenen Teelöffels, der ihrer Mutter gehört hatte, fortsetzte. Auch sie hatte den Löffel kurz vor ihrem Tod weitergegeben — sozusagen als Glücksbringer — , zumindest war sie davon überzeugt gewesen, dass er ihrer Tochter Elli Glück bringen würde. Nun lag er eingewickelt in einem seidenen Tuch in der Wohnzimmerschublade. Hatte der Löffel ihr tatsächlich Glück gebracht? Um diese Frage eingehend zu beleuchten, blieb ihr kurz vor Ladenschluss aber Gott sei Dank keine Zeit mehr. Der allwöchentliche Besuch im Altenheim stand an, und ihre »Cineastengruppe« schätzte es ganz und gar nicht, wenn man unpünktlich war.
Warum um alles in der Welt hatten Altenheime in der Regel Namen, die allesamt Frieden und Harmonie an einem paradiesischen Ort suggerierten? »Seniorenheim Sonnenhain« klang doch sehr vielversprechend. Laut Prospekt war es direkt an einer Parkanlage gelegen, jedenfalls durch die Linse des Profifotografen betrachtet, der es irgendwie geschafft hatte, einen Zipfel Grün mit auf das Bild zu schmuggeln. Dass sich die Anlage direkt an einer stark befahrenen Hauptstraße befand und der gegenüberliegende Minipark eigentlich ein Bolzplatz für lärmende Kinder war, ging aus der Hochglanzbroschüre natürlich nicht hervor. Immerhin hatte dieses Altenheim den Vorteil, dass man jederzeit, ohne lange suchen zu müssen, einen Parkplatz fand.
Heute stand für Ellis Publikum Verdammt in alle Ewigkeit auf dem Programm, der Klassiker mit Burt Lancaster und Montgomery Clift — auf besonderen Wunsch der nicht mehr ganz so mobilen Cineastenrunde, die sie einmal pro Woche, mit Beamer und einem mobilen DVD-Player ausgestattet, versorgen durfte. Als Elli den Wagen parkte und die Stufen des altehrwürdigen Sandsteingebäudes hinaufeilte, machte sie sich klar, dass sie für diesen Nebenjob dankbar sein musste. Letztlich hatte sie es Frieda und ihren guten Kontakten zur Stadtverwaltung zu verdanken, dass sie für ihr mobiles Kino monatlich einen kleinen Zuschuss bekam. Ein paar hundert Euro nebenbei konnten angesichts der eher mauen Einnahmesituation der Videothek nicht schaden. Einen Film vor Publikum vorführen zu dürfen, erinnerte sie zudem an ihre persönlichen Gründerjahre, als sie mit Josef ihr erstes Kino eröffnet hatte. Ein gutes Gefühl, ein Hauch von wärmender Nostalgie, den ihr selbst die kahlen Wände des schier endlos langen Ganges, der zum Gesellschaftsraum führte, nicht nehmen konnten.
»Alles Lüge! Alles Lüge!«, keifte eine mindestens achtzigjährige Frau, die mit ihrem Rollator im Morgenmantel und in überdimensional großen Pantoffeln wie aus dem Nichts aus einem der Zimmer auf sie zuschoss.
Elli zuckte förmlich vor Schreck zusammen.
»Die wollen doch nur mein Geld«, fügte die alte Dame noch hinzu.
Jetzt nur keinen Blickkontakt zulassen! Die Bewohnerin aus Zimmer 115 würde sie sich sonst schnappen und in ein endlos langes Gespräch verwickeln. Am Ende würde sie noch zu spät zur Filmvorführung kommen. Panisch beschleunigte Elli ihre Schritte, doch die Frau war dank ihres Turbo-Rollators schneller als gedacht.
»Zu Besuch?«
»Nein, ich zeige hier einen Film.«
»Einen Film?«, wollte die alte Dame wissen. Offenbar war das Kulturprogramm des Sonnenhains bisher an ihr vorbeigegangen. Vielleicht interessierte sie sich ja aber auch nicht für Kino.
»Ja, Verdammt in alle Ewigkeit. Sie sind herzlich eingeladen.« Kaum war der Satz ausgesprochen, hätte sich Elli am liebsten auf die Zunge gebissen.
»Ja, man ist verdammt... aber Gott sei Dank nicht bis in alle Ewigkeit.« Nun fing die Frau auch noch an zu kichern. Nein, es war vielmehr eine überraschend fiese Lache.
»Hören Sie, ich bin in Eile...«
»Eile mit Weile.« Wieder ein Kichern, und obwohl Elli mittlerweile im
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