Elli gibt den Loeffel ab
einem guten Film zu sein, doch Friedas nervöses Spiel mit der Kaffeetasse ließ nichts Gutes ahnen.
»Remy...«, seufzte Frieda schwermütig.
»Ist die nicht gerade in Wien?«
Frieda schüttelte nur den Kopf. »Schlaganfall. Muss ganz schnell gegangen sein.«
Elli war froh, dass sie sich bereits gesetzt hatte. Mittlerweile tauchte Gino, ein quirliger Italiener in >Tom-Cruise-Größe< und mit nach hinten gegeltem Haar, neben ihr auf.
»Elli, bella, was darf ich Ihnen bringen? Das Übliche?«
»Zwei Grappa bitte.«
Frieda gab die Bestellung auf — entgegen ihrer Gewohnheit die richtige Wahl, stellte Elli fest. Einen Cappuccino hätte sie im Moment sowieso nicht heruntergebracht.
Ginos zwar völlig unangebrachtes, aber wie immer strahlendes Lächeln tat trotzdem gut. »Sehr wohl.«
»Wahrscheinlich war’s die Sachertorte«, fuhr Frieda fort.
»Was hat Remys Schlaganfall mit einer Torte zu tun?«
»Erinnerst du dich... letzte Woche beim Kegeln? Was hat sie sich auf diese Kalorienbombe gefreut. Tönt noch rum, dass sie für ein Stück original Sacher sterben würde. Das hat jemand da oben wohl in den falschen Hals bekommen.«
Elli erinnerte sich noch allzu gut an Remys Vorfreude. Sie hatte mit ihnen den Gewinn einer Wien-Reise gefeiert und sich tatsächlich mehr auf den Kuchen als auf den Prater gefreut.
»Stell dir das mal vor. Du erfüllst dir quasi einen Lebenstraum, und kaum hast du die Torte im Ranzen, kippst du vom Stangerl.«
»Das ist nicht dein Ernst? Im Sacher?«
Frieda nickte. »Sie mussten Remy zu fünft rausschleppen.«
»Jetzt hör aber auf...« Wie konnte Frieda sich angesichts des Ablebens ihrer Freundin nur über deren Übergewicht lustig machen?
»Nein, es stimmt. Ich weiß es von ihrer Nichte.«
»Die arme Remy! Sie war doch noch so jung«, sinnierte sie.
»Na ja, vierundsechzig... Mach dir mal nichts vor, Elli. Die Uhr tickt.«
»Jetzt übertreibst du aber. Außerdem sind wir beide nicht übergewichtig.«
Kaum war der Satz ausgesprochen, kamen ihr erste
Zweifel, ob Frieda nicht vielleicht doch recht hatte. Fakt war, dass sich ihr Freundeskreis in den letzten Jahren deutlich dezimiert hatte. Der Sensenmann ging um und hatte sich nicht nur den Bekanntenkreis gekrallt, der ihr nach Josefs Tod geblieben war, sondern trieb nun auch noch in ihrem engsten Freundeskreis sein Unwesen. Aus dem achtköpfigen Kegelclub war in den letzten zwei Jahren ein illustres Quartett geworden, bestehend aus Frieda, Remy, einer Studentin Mitte zwanzig namens Steffi, die immer wieder mal einsprang, und ihrer Wenigkeit.
»Außerdem sind die anderen auch nicht an Altersschwäche oder irgendwelchen Verfallserscheinungen gestorben«, sagte sie zu Frieda. »Zwei Autounfälle, ein Absturz beim Bergwandern und einmal Oberschenkelhalsbruch mit anschließender Sepsis im Krankenhaus«, fügte Elli noch hinzu.
»Wobei Alvin sicher nicht in den Graben gefahren wäre, wenn er nicht auf der Fahrt zu seinem Scheidungstermin einem Herzinfarkt erlegen wäre«, stellte Frieda leicht rechthaberisch klar.
Nun gut, das stimmte. Dennoch erfüllten Elli die ungewöhnlich zahlreichen Abschiede von Freunden in ihrem Alter mit einem gewissen Schaudern. Werweiß, vielleicht war sie ja in eine Fortsetzung von Final Destination geraten, wobei sie sich nicht daran erinnern konnte, den Tod jemals überlistet zu haben und seither von ihm verfolgt zu werden.
»Die Beerdigung ist morgen früh um zehn«, unterbrach Frieda ihre Gedanken.
Elli nickte und gurgelte den aufsteigenden Kummer erst einmal mit einem ordentlichen Schluck von Ginos Cognac herunter.
Elli nahm sich vor, den Rest des Tages einfach abzuhaken. Remys überraschender Abschied lag ihr immer noch bleischwer im Magen und sorgte an dem verregneten, aber dank des Unwetters immerhin kundenfreien Nachmittag für die ideale Grundlage, um an ihre gemeinsame Zeit zurückzudenken. Letzteres schwor eine Tristesse herauf, die Elli an sich weder kannte noch schätzte. Remy, die Frieda an der Volkshochschule in einem Kochkurs kennengelernt hatte, war der Neuzugang im Kegelclub gewesen. Trotz ihrer üppigen Rundungen, die ihr den Spitznamen »Kegelkügelchen« eingebracht hatten, hatte sie sich im Team bewährt — menschlich wie auch (erstaunlicherweise) sportlich. Was würde jetzt nur aus ihrem Kegelabend werden? Zu dritt ja nicht gerade eine Spaßveranstaltung. Was musste Remy auch den Löffel abgeben?
Die quälende Frage nach dem Warum war aber selbst nach stundenlanger
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