Elric von Melnibone
Dyvim Tvar schien der großgewachsene Albino einzuschrumpfen, als er sich setzte. Er schien sich in ein verwundbares Kind zu verwandeln, und Dyvim Tvars Herz schlug für Elric wie für ein nervösmutiges Kind, und er spielte mit dem Gedanken, vorzuschlagen, sie sollten die Zauberei doch sein lassen und Oin und Yu auf normalem Wege zu erreichen suchen.
Doch schon hob Elric den Kopf wie ein Hund, der zum Mond aufheulen will. Seltsame, erregende Worte kamen von seinen Lippen. Für ein mahnendes Wort war es offenbar zu spät: Elric hätte nichts mehr gehört.
Dyvim Tvar war die Hochsprache nicht unbekannt - als melniboneischer Edelmann war er darin unterrichtet worden -; dennoch kamen ihm die Worte fremd vor, denn Elric sprach sie mit ungewöhnlicher Modulation und Betonung und verlieh den Worten auf diese Weise ein besonderes und unbekanntes Gewicht; er äußerte sie mit einer Stimme, die vom tiefen Stöhnen bis zum Falsettkreischen reichte. Es war nicht angenehm, solche Laute aus dem Hals eines Sterblichen zu vernehmen; zugleich erkannte Dyvim Tvar nun auch, warum Elric so ungern zu den Mitteln der Zauberei griff. Der Lord der Drachenhöhlen war zwar Melniboneer von Geburt, spürte in diesem Augenblick aber den Drang, ein paar Schritte zurückzuweichen, sich vielleicht sogar in den Schutz der Klippen zu begeben und Elric von dort aus zu beobachten; er mußte sich im weiteren Verlauf der Anrufung zwingen, an Ort und Stelle auszuharren.
Der Runengesang dauerte lang. Der Regen schlug energischer auf die Kiesel am Strand und ließ sie schimmern. Der Niederschlag prasselte in das ruhige dunkle Meer, umspritzte den zerbrechlich anmutenden Kopf der singenden hellhaarigen Gestalt und führte dazu, daß Dyvim Tvar erschauderte und sich den Mantel enger um die Schultern zog.
»Straasha - Straasha - Straasha...«
Die Worte vermengten sich mit den Geräuschen des Regens. Es waren kaum noch Worte, sondern Laute, die der Wind hervorrufen mochte, oder eine Sprache, die allein das Meer beherrschte.
»Straasha...«
Wieder überkam Dyvim Tvar der Drang, sich von der Stelle zu rühren, diesmal aber wollte er zu Elric gehen und ihn bitten, aufzuhören und sich eine andere Methode zu überlegen, wie sie nach Oin und Yu reisen konnten.
»Straasha!«
Eine rätselhafte Agonie lag in diesem Ruf.
»Straasha!«
Elrics Name formte sich auf Dyvim Tvars Lippen, doch er stellte fest, daß er ihn nicht aussprechen konnte.
»Straasha!«
Die hockende Gestalt begann zu schwanken. Das Wort wurde zu einem Ruf des Windes in den Höhlen der Zeit.
»Straasha!«
Dyvim Tvar wurde klar, daß der Runengesang aus irgendeinem Grunde nicht funktionierte, daß Elric seine Kräfte umsonst verschwendete. Und doch vermochte der Lord der Drachenhöhlen nichts zu unternehmen. Seine Zunge war erstarrt. Seine Füße rührten sich nicht. Er schien am Boden festgefroren zu sein.
Er starrte in den Nebel. Hatten sich die Schwaden unmerklich der Küste genähert? War da nicht ein seltsamer, fast durchscheinend grüner Schimmer aufgetaucht? Dyvim Tvar starrte mit zusammengekniffenen Augen darauf.
Plötzlich wurde das Wasser heftig aufgewühlt. Das Meer schäumte den Strand herauf. Der Kies klapperte. Der Nebel zog sich zurück. Unbestimmte Lichter flackerten in der Luft, und Dyvim Tvar glaubte die Silhouette einer riesigen Gestalt aus dem Meer steigen zu sehen - und er spürte, daß Elrics Zaubergesang aufgehört hatte.
»König Straasha«, sagte Elric mit annähernd normaler Stimme. »Du bist gekommen. Ich danke dir.«
Die Silhouette sprach ebenfalls, ihre Stimme erinnerte Dyvim Tvar an langsame, schwere Wellen, die sich unter einer freundlich warmen Sonne bewegen.
»Wir Elementargeister machen uns Sorgen, Elric, denn es gibt Gerüchte, du hättest die ChaosLords auf deine Ebene herabgeholt - die Elementargeister haben die Lords des Chaos nie gemocht. Wenn du es aber getan hast, dann nur - davon bin ich überzeugt -, weil es das Schicksal nicht anders zuließ. Wir hegen deswegen keinen Groll
gegen dich.«
»Die Entscheidung wurde mir aufgezwungen, König Straasha! Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wenn du mir aus diesem Grunde nicht helfen willst, würde ich das verstehen und dich nicht weiter behelligen.«
»Ich werde dir helfen, obwohl dies schwieriger geworden ist - nicht wegen der Dinge, die in der unmittelbaren Zukunft geschehen werden, sondern wegen dessen, was sich für die kommenden Jahre abzeichnet. Jetzt mußt du mir schnell sagen, wie wir
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