Elric von Melnibone
seines Schimmelhengstes. »Du wirst auf dem Drachenhorn blasen, und unsere Drachenbrüder werden den Ton vernehmen, und wir beide singen das Lied der Drachenherren, und unsere Peitschen blitzen auf, wenn wir auf dem Rücken von Flammenkralle und seiner Frau Süßklaue sitzen. Ach, es wird wie in den alten melniboneischen Zeiten sein, wenn wir Freiheit nicht mehr mit Macht gleichsetzen, sondern die Jungen Königreiche unbehelligt lassen können, in dem beruhigenden Bewußtsein, daß sie uns ihrerseits nicht stören werden!«
Dyvim Tvar zügelte sein Tier. Seine Stirn war umwölkt. »Beten wir, daß dieser Tag wirklich kommt, mein Lord. Doch ich kann mir nicht helfen - nagende Zweifel wollen mir einreden, daß Imrryrs Tage gezählt sind und daß sich mein eigenes Leben dem Ende zuneigt.«
»Unsinn, Dyvim Tvar! Du überlebst mich noch. Daran kann kaum ein Zweifel bestehen, obwohl du älter bist als ich.«
Während sie durch den sich neigenden Tag galoppierten, sagte Dyvim Tvar: »Ich habe zwei Söhne. Wußtest du das, Elric?«
»Du hast nie von ihnen gesprochen.«
»Sie stammen von Geliebten, die ich lange kenne.«
»Ich freue mich für dich.«
»Es sind gute Melniboneer.«
»Warum bringst du die Sprache darauf, Dyvim Tvar?« Elric versuchte den Gesichtsausdruck seines Freundes auszumachen.
»Ich liebe sie nun mal und möchte gern, daß sie die Freuden der Dracheninsel genießen können.«
»Und warum sollten sie nicht dazu in der Lage sein?«
»Ich weiß es nicht.« Dyvim Tvar warf Elric einen prüfenden Blick zu. »Ich könnte sagen, daß das Schicksal meiner Söhne in deine Verantwortung fällt, Elric.«
»Meine Verantwortung?«
»Ich habe den Worten des Wassergeists entnommen, daß deine Entscheidung das Geschick der Dracheninsel bestimmen könnte. Ich bitte dich, meine Söhne nicht zu vergessen, Elric.«
»Ich werde sie nicht vergessen, Dyvim Tvar. Ich bin sicher, daß sie zu hervorragenden Drachenmeistern heranwachsen werden und daß einer von ihnen dich eines Tages als Lord der Drachenhöhlen ablösen wird.«
»Ich glaube, du verstehst meine Worte nicht richtig, mein Lord Herrscher.«
Elric warf seinem Freund einen ernsten Blick zu und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich durchaus, alter Freund. Allerdings finde ich, daß du mich zu hart beurteilst, wenn du fürchtest, ich gäbe mir große Mühe, Melnibone und alles, was diese Insel darstellt, in Gefahr zu bringen.«
»Dann verzeih mir.« Dyvim Tvar senkte den Blick und verneigte sich. Aber der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich nicht.
In Imrryr zogen sie sich um, tranken Glühwein und ließen sich eine scharf gewürzte Mahlzeit servieren. Elric war trotz seiner Müdigkeit zum erstenmal seit langer Zeit wieder gut gelaunt. Allerdings lag unter seinem äußeren Auftreten ein Hauch von etwas anderem, als zwinge er sich nur dazu, fröhlich zu sprechen und sich lebhaft und vital zu gebärden. Dyvim Tvar mußte zugeben, daß die Zukunftsaussichten sich nun rosiger darstellten: Bald würden sie Prinz Yyrkoon gegenüberstehen. Aber die Gefahren, die sie erwarteten, waren unbekannt, die Fallstricke wahrscheinlich unberechenbar. Aus Mitgefühl für den Freund wollte er dessen Stimmung aber nicht sabotieren. Er war sogar recht froh, daß Elric ein wenig positiver eingestellt war. Es wurde über die Ausrüstung gesprochen, die man für die Expedition in die geheimnisvollen Länder Yu und Oin brauchte, obwohl Ungewißheit herrschte über die Aufnahmefähigkeit des Schiffesdas-über-Landund-Meer-Fährt - wie viele Männer es faßte, welche Vorräte man mit an Bord nehmen sollte, und so weiter.
Als Elric seine Schlafstatt aufsuchte, bewegte er sich nicht mit jener lähmenden Müdigkeit, die zuvor jeden seiner Schritte begleitet hatte. Beim Abschied zur Nacht überkam Dyvim Tvar dasselbe Gefühl, das ihn schon am Strand erfüllt hatte, während Elric seinen Runengesang anstimmte. Vielleicht hatte er im Gespräch mit Elric nicht zufällig von seinen Söhnen erzählt, denn er spürte nun beinahe einen Beschützerinstinkt in sich, als wäre Elric ein kleiner Junge, der sich auf ein Abenteuer freute, das ihm vielleicht nicht die erwarteten Freuden schenken würde.
Dyvim Tvar schlug sich diese Gedanken so gut es ging aus dem Kopf und ging ebenfalls zu Bett.
Elric mochte die Schuld für die Ereignisse um Yyrkoon und Cymoril allein bei sich suchen, aber Dyvim Tvar fragte sich jetzt, ob ihm in mancher Beziehung nicht ebenfalls Vorwürfe zu machen waren.
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