Elric von Melnibone
immer weiter hinaus und gab ihm Worte mit auf den Weg, die ihm überdie zuckenden Lippen kamen - Worte, die nur wenige Zeitgenossen verstanden hätten, obwohl allein ihr Klang das Blut jedes Zuhörers ins Stocken hätte bringen können. Und sein Körper bäumte sich auf, obgleich er ihn zwang, in der ursprünglichen Stellung zu verharren, und von Zeit zu Zeit kam ein Stöhnen über seine Lippen. Und durch alles waren immer wieder Worte zu hören.
Eines dieser Worte war ein Name. »Arioch!«
Arioch, Patendämon von Elrics Vorfahren; einer der mächtigsten Herzöge der Hölle, der außerdem Ritter der Schwerter, Lord der Sieben Dunkelheiten, Lord der Höheren Himmel genannt wurde und noch viele andere Namen hatte.
»Arioch!«
Yyrkoon hatte Arioch angerufen, hatte den Lord des Chaos aufgefordert, Elric zu verwünschen. Yyrkoon hatte Arioch vor dem Rubinthron um Hilfe gebeten! Arioch war als Bewahrer der Zwei Schwarzen Schwerter bekannt, jener Schwerter unirdischer Herkunft und unbegrenzter Macht, die vor langer Zeit von melniboneischen Herrschern geschmiedet worden waren.
»Arioch! Ich rufe dich!«
Zauberworte kamen nun schrill über Elrics Lippen, sowohl rhythmisch gerufen als auch bruchstückhaft gestottert. Sein Verstand hatte die Ebene erreicht, auf der Arioch weilte. Nun versuchte er Arioch persönlich anzusprechen.
»Arioch! Elric von Melnibone ruft nach dir!«
Elric erkannte ein Auge, das auf ihn herabblickte. Das Auge schwebte, stieß zu einem zweiten. Die beiden Augen musterten ihn.
»Arioch! Mein Lord des Chaos. Hilf mir!«
Die Augen blinzelten - und verschwanden.
»O Arioch! Komm zu mir! Komm zu mir! Hilf mir, dann diene ich dir!«
Eine Silhouette, die kein Mensch war, drehte sich langsam, bis ein gesichtsloser schwarzer Kopf auf Elric herabblickte. Eine Korona roten Lichts schimmerte hinter dem Schädel.
Dann verschwand auch diese Erscheinung.
Erschöpft ließ Elric das Bild verblassen. Sein Geist hastete durch unzählige Ebenen zurück. Seine Lippen riefen keine Runen oder Namen mehr. Erschöpft lag er auf dem Boden seines Zimmers, unfähig, sich zu bewegen, stumm.
Er war überzeugt, versagt zu haben.
Ein leises Geräusch ertönte. Mühsam hob er den schweren Kopf.
Eine Fliege war ins Zimmer geflogen. Sie summte zunächst ziellos herum und schien dann den Linien der Runen zu folgen, die Elric frisch aufgezeichnet hatte.
Die Fliege setzte sich zuerst auf eine Rune, dann auf eine andere.
Sie mußte durch das Fenster hereingekommen sein, überlegte Elric. Die Ablenkung ärgerte ihn, trotzdem war er fasziniert.
Die Fliege setzte sich auf Elrics Stirn. Es handelte sich um ein großes schwarzes Insekt, das laut und geradezu obszön summte. Es rieb die Vorderbeine aneinander und schien bei seiner weiteren Wanderung ein besonderes Interesse für Elrics Gesicht an den Tag zu legen. Elric erschauerte, doch er brachte die Kraft nicht auf, nach der Fliege zu schlagen. Als sie in sein Blickfeld kam, beobachtete er sie. Aber auch wenn sie nicht sichtbar war, spürte er, wie die kleinen Beine jeden Quadratzentimeter seines Gesichts abtasteten. Dann flog das Wesen hoch und schwebte summend ein kleines Stück vor Elrics Nase. Plötzlich sah Elric die Augen der Fliege und erkannte etwas darin wieder. Es waren die Augen, die er auf jener anderen Ebene gesehen hatte - und doch wieder nicht.
Ihm begann zu dämmern, daß diese Fliege kein gewöhnliches Lebewesen war. Sie hatte Züge, die entfernt menschlich anmuteten.
Die Fliege lächelte ihn an.
Mit heiserer Kehle und ausgetrockneten Lippen brachte Elric nur ein Wort hervor:
»Arioch?«
Und plötzlich stand ein schöner Jüngling an der Stelle, wo die Fliege eben noch geschwebt hatte. Und der schöne Jüngling sprach mit schöner Stimme - leise und mitfühlend und doch männlich. Er trug einen Umhang, der wie ein flüssiger Edelstein funkelte, ohne Elric allerdings zu blenden, denn auf besondere Weise schien er kein Licht zu verstrahlen. Am Gürtel des Jünglings hing ein schmales Schwert, und er trug anstelle des Helms einen Ring aus rotem Feuer auf dem Haupt. Seine Augen schimmerten weise, und seine Augen schimmerten alt, und wenn man sie genau betrachtete, war zu erkennen, daß sie eine uralte, selbstbewußte böse Macht ausdrückten.
»Elric.«
Und Elric konnte aufstehen. Er war voller Energie.
Der Jüngling war nun größer als Elric. Er blickte auf den Herrscher von Melnibone herab und lächelte das Lächeln, das schon die Fliege aufgesetzt
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