Elsa ungeheuer (German Edition)
Fregatten werden niemals untergehen.«
Wir nagelten und hämmerten fünf volle Tage lang. Doch schon unser Prototyp – mehr Floß als Schiff – überlebte seine Jungfernfahrt auf dem Stausee nicht.
»Wir werden den Fehler finden«, sagte ich, als unsere Konstruktion in Einzelteile zerfiel. Aber Lorenz hatte bereits einen Schlussstrich unter unsere Seemachtsträume gezogen. Er nahm meine Hand, und ich folgte ihm widerstandslos.
Natürlich wäre ich ihm auch heute gefolgt, aber sie wog jetzt schon schwerer als alle nie gebauten Schiffe. Elsa beherrschte meine Gedanken.
»Lorenz, schau«, schrie ich. Hubertus Gröhlers grauer Audi steuerte direkt auf den Parkplatz des Jagdhofs zu.
Als Erster stieg Elsas Vater aus dem Wagen. In der Julisonne sah sein dunkler Anzug einfach nur verkehrt aus. Viktor, der Schweizer, präsentierte sich in hellem Leinen.
Ein Lachen, das bis zu uns herüberhallte. Schimmernde Satinsandalen. Makellose nackte Beine. Mathilde. Blassrosa und transparent der Stoff ihres Kleides. Goldblond die Haare, die bis zum Kinn reichten. Die vierte Tür öffnete sich nicht.
Der Jagdhof hatte noch geschlossen. Auf zwei perfekten Fingern ließ Mathilde einen fast perfekten Pfiff ertönen. Oben am Fenster streckte die alte Wiesinger den Kopf heraus.
»Komm.« Lorenz nahm meine Hand.
Während das Trio im Wirtshaus Einlass fand, überquerten wir die Straße.
Nicht einmal mehr fünf Schritte trennten uns von dem grauen Audi, dessen Scheiben die Sonnenstrahlen reflektierten. Ich glaubte einen Kopf und Schultern zu erkennen. Drei Schritte. Lorenz ging voran. Ein Schritt. Er presste sein Gesicht gegen das Autofenster. Ein Knall und noch einer. Elsas flache Hand malträtierte von innen die Scheibe. Lorenz wich zurück. »Blöde Kuh«, rief er so laut, dass sie es durch Blech und Glas hören musste. »Das zahl ich dir heim.« Er reckte seine Faust und spuckte auf den Asphalt. »Komm raus, wenn du dich traust.«
Aber Elsa kam nicht.
»Lorenz?«
»Ja?«
»Wie sieht sie aus?«
»Keine Ahnung.«
»Nehmen sie Elsa wieder mit?«
»Keine Ahnung. Lass uns reingehen.«
Auf dem kurzen Weg bis zum Eingang drehte ich mich mehrmals um, in der Hoffnung, dass sie sich doch noch zeigen würde.
Aber Elsa zeigte sich nicht.
Gelächter und Rauch strömten uns entgegen. Am Stammtisch saßen die Wiesingers und das Trio. Auf halber Strecke zwischen Tür und Tisch blieben Lorenz und ich stehen. Keiner hatte unser Erscheinen registriert.
Neben den früh gealterten Wirtsleuten und dem Schuldirektor mit seiner leidenden Miene, eingehüllt in den ewigen Fett-Schweiß-Bier-Geruch der Gaststube, wirkten Mathilde und Viktor wie eine doppelte, menschgewordene Verheißung. Ein Versprechen, dass das ganze Leben nicht mehr sei als ein riesengroßer Spaß.
»Die Brauer-Kinder. Ja, was macht ihr denn hier? Es ist noch zu.« Die alte Wiesinger hatte uns entdeckt.
Mathilde sprang von ihrem Stuhl auf. »Das sind Randolphs Kinder? Kommt her, ihr zwei.«
Sie umarmte uns, streichelte unsere Wangen und machte uns verlegen. Unter ihrem transparenten Kleid trug sie transparente Spitze. Zweimal nichts. Ich spürte die Wärme ihrer Haut und konnte ihr Parfum riechen.
»Setzt euch, Jungs«, sagte Viktor.
Cola für die armen Halbwaisen. Wermut für die Erwachsenen.
Zwischen den Namen von Weltmeeren und einer Yacht erklang immer wieder Mathildes mitreißendes Lachen.
»Und nach Madagaskar segeln wir auch«, rief sie und leerte ihr Glas in einem Zug. »Wie heißen die Äffchen noch mal, Vicky?«
»Lemuren.«
»Genau. Lemuren. Sie können sich nur im Seitgalopp vorwärtsbewegen. Könnt ihr euch das vorstellen? Das ist doch verrückt.« Mathilde stand auf, zog ihre Schuhe aus und stemmte ihre Arme in die Hüften. »Musik!«, verlangte sie. »Musik!«
Herr Wiesinger schaltete das Radio an. Der Klassiksender spielte gerade Rimski-Korsakows Hummelflug .
Schneller und immer schneller bewegten sich Mathildes Beine. Hubertus betrachtete ihre tanzende Gestalt voller Verwunderung. Als könnte er nicht fassen, dass dies einst seine Frau gewesen war. Und es hatte auch etwas Unvorstellbares: Mathilde und der Schuldirektor, dessen wulstige Lippen das einzig Überschwengliche an ihm waren, während sie nur aus Überschwang zu bestehen schien.
Mathilde verbeugte sich, und wir applaudierten. »Frag, ob sie Elsa mitnehmen, ja?«, flüsterte ich Lorenz zu. Ich hatte das Mädchen draußen im Auto nicht vergessen.
»Ist doch egal«, antwortete er und
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