Elsas Küche: Roman (German Edition)
Bourgeois fotografieren ließ? – mit einem Zahnpastalächeln und doch bierernst.
Ja, das nahm sie ihm übel.
Sehr sogar.
Sein Anblick wirkte noch lange in ihr nach. Ihr Unbehagen begleitete sie tagelang und ließ sich schließlich in ihren Träumen nieder. Sie wachte regelmäßig mit übersäuertem Magen und Sodbrennen auf – selbst an Sonntagen mit blauem Himmel wie diesem. Kaum erwacht, legte sie sich die Hand auf den Bauch. Und heute Morgen war die andere fest an die Stirn gepresst, ganz fest, als käme sie von dort nicht mehr los und wollte sie an etwas Wichtiges erinnern.
Irgendwann war sie mitten in der Nacht erschrocken aufgewacht, hatte nach Luft geschnappt und sich an die Stirn geschlagen: Ihr war schmerzhaft klar geworden, dass sie zwar Erfolg im Beruf hatte und ein gut besuchtes Restaurant, dass es ihr finanziell gut ging und sie ihren neuen bürgerlichen Status genoss, dass sie aber trotzdem ein Leben führte, das ohne Erfüllung blieb ...
II
S ich aufzuregen war für Elsa nichts Neues. Es war für sie so natürlich wie das Atmen. Das Foto ihres Exmannes war nur der Auslöser. Elsa brauchte im Leben Herausforderungen, sie musste sich beschäftigen. Ohne Wände, die sie hochklettern konnte, oder Windmühlen, gegen die sie ankämpfen musste, wurde sie depressiv. Sie war genau der Typ, das wusste sie. Irgendwo in ihrem Inneren war dieses Gefühl – es hatte sich wahrscheinlich dicht bei ihrem Solarplexus eingenistet. So schien es zumindest. Sie spürte es in ihrer Brust. Um nicht über ihren Ängsten zu brüten – wozu sie neigte –, war Elsa permanent in Bewegung. Wenn sie auch nur für einen Moment daran gehindert wurde oder langsamer tat, litt sie darunter, mit sich allein zu sein, und dann war alles aus.
Sie riss die Hand vom Kopf und stieß die dünne Decke weg. Dann setzte sie sich ans Fußende ihres Bettes und dachte über ihre nächtlichen Erinnerungen nach – die metastatisch zu einem Gefühl tiefen Bedauerns gewuchert waren. Sie versicherte sich, dass ihre Gefühle echt waren und nicht ihrem melodramatischen Unterbewusstsein entstammten, also keine Reaktion auf die kalten Würste waren, die sie spätabends verspeist hatte. Sie versuchte, sich an die Zeit zu erinnern, da sie sich völlig anders gefühlt hatte.
Elsa kam zu dem traurigen Schluss, dass es sage und schreibe zwanzig Jahre her sein musste, seit sie so etwas wie Hoffnung empfunden hatte – ihre Haut hatte mehr Spannkraft gehabt, ihr Haar war noch nicht gefärbt, sie hatte sich gerade aus einer schlechten Ehe befreit, und um sie herum lag die Zukunft wie verschüttetes Mehl aus einem umgekippten Sack. Diese Erkenntnis ließ sie erbleichen. Sie bekam wieder Kopfschmerzen und fragte sich: Wie konnte die Zeit nur so schnell verfliegen?
Der Spiegel in der Ecke zeigte ihr ihr Gesicht. Was Elsa dort sah, erschreckte sie: eine alternde geschiedene Frau mit Krähenfüßen und Falten um den Mund. Ihr Lebenswandel hatte ihr Gesicht in Mitleidenschaft gezogen, dachte Elsa. Dann folgte eine Litanei ihrer Fehler: Sie war immer knapp bei Kasse. Sie machte Kompromisse bei ihrer Kleidung. Sie hatte einen irritierend weichen Kern. Elsa fing sich und öffnete den Mund, als wollte sie protestieren, doch kein Laut kam hervor. In den Spiegel blickend, schüttelte sie wieder den Kopf. Ihre Haut war fahl und die Schläfen grau. Ihre Augen wirkten eingesunken. Sie hatte Hängebrüste, die an Plastikeinkaufstüten erinnerten. Sie zwang sich zu einem Lächeln, nahm das Haar straff zurück und reckte das Kinn vor. Sie dachte an die jüngere Frau, die sie einst gewesen war, und dachte im Stillen: Ich weiß, dass ich irgendwo da drin bin. Ich weiß, dass ich immer noch da bin!
Elsa beschloss, ihr jüngeres, hoffnungsfrohes Ich zu sich zurückzulocken. Sie türmte ihr dunkles Haar auf und verbarg die ergrauenden Schläfen. Sie nahm sich Zeit für ein perfektes Make-up. Als sie fertig war, sah sie jünger und selbstbewusster aus. Sie blickte noch einmal in den Spiegel und rang sich ein Lächeln ab. Ihr Kummer war noch nichtvergessen. Doch ließ sie sich nicht das Geringste anmerken. Schließlich war es nur ein unklares Gefühl der Unzufriedenheit.
Elsa kam zu der Überzeugung, dass ihr Kummer großteils daher rührte, dass so vieles in ihrem Leben zweitklassig war. Dass die Gäste gern in ihr Restaurant kamen, tat nichts zur Sache. Auch dass sie sie gewöhnlich persönlich aufsuchten und ihr Komplimente machten, vor allem die Männer, ließ sie kalt.
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