Elsas Küche: Roman (German Edition)
breites Lächeln. Dann reckte sie das Kinn, sodass sich die Haut am Hals straffte. Sie legte den Kopf schief. Um nicht überzuschnappen, zählte sie im Stillen, doch keiner merkte es. Als kulinarische Kurtisane pflichtete sie ihren Gästen bei, ganz gleich, was für Dummheiten sie von sich gaben, und die Gäste dankten es ihr mit einem Lächeln. Sie gaben den Kellnern üppige Trinkgelder. Sie kamen jedes Jahr wieder und sorgten dafür, dass das Geschäft lief.
Schon frühzeitig – vor zehn Jahren – hatte sie gemerkt, dass die breite Masse sich, kaum war sie den Fängen des Sozialismus entronnen, wie ein Derwisch zu drehen begann. Die Leute fingen vor Vergnügen, oder um Aufmerksamkeit zu erregen, zu schreien an, als wären sie alle Kinder. Kinder, die nach Jahren geistiger Grausamkeit an der Kandare einer verbitterten Schulmeisterin aus einem baufälligen Klassenzimmer in die Pause entlassen worden waren.
Daher genügte es, wenn Elsa lächelte und ihren Gästen ins Gesicht blickte. Anerkennend zu nicken und Interesse zu heucheln reichte aus. Ein, zwei Gratisdrinks. Ihre Gäste – das Volk – achteten sowieso nicht darauf. Denn mit dem Versprechen auf einen vollen Bauch und einem ermutigenden Lächeln konnte man sie, wie Elsa wusste, dazu bringen, massenweise über die Klippen zu springen! Oh ja, wir sind echte Schlauberger. Kommt, wir klopfen einander auf den Rücken und springen!
Elsa lachte leise in sich hinein. Sie lachte darüber, dass sie so klar sah, dass sie ihre Gäste so leicht durchschaute. Und doch war es das Beste, dieses Wissen darauf zu verwenden, ihnen Paprikahuhn und Schäfergulasch zu verkaufen. Glückspilze , dachte sie. Sie hatten Glück, dass Elsa an Lebensüberdruss litt und alles nur mechanisch tat. Aber Elsa hatte nicht ganz recht. Die Leute kamen nicht nur wegen ihres strahlenden Lächelns wieder, sondern weil sie ihre Küche zu schätzen wussten. Elsa war eine gute Köchin (obgleich sie nicht mehr viel in der Küche stand, sondern sich hauptsächlich in der Gaststube oder in ihrem Büro aufhielt), und es hatte Zeiten gegeben, in denen sie sich intensiv ums Essen kümmerte, sich mit den Vorlieben und dem Geschmack ihrer Gäste beschäftigte und mit der Rückmeldung, die sie ihr unbewusst hinterließen.
Wenn die Gäste gegangen waren, hatte sie sich eingehend mit den abgegessenen Tischen beschäftigt. Sie sah mit scharfem Auge, ob die Gerichte gegessen oder liegen gelassen worden waren. Sie prüfte, ob die Gäste die Nachspeisen genossen oder nur an ihnen geschnuppert hatten. Sie untersuchte die benutzten Gedecke wie eine Voyeurin, die durch Schlüssellöcher in Schlafzimmer späht und Unterwäsche und Schuhe beguckt, Schlachtfelder ehelicher Beiwohnung oder eines leidenschaftlichen Stelldicheins in Hotelzimmern. Elsa untersuchte die Gaststube sorgfältig. Sie sah sich an, wie die Servietten dalagen. Hatte man sie sorgsam neben den Teller gelegt oder einfach darübergeworfen? Oder auf dem Boden liegen lassen? Hatten sie Flecke? Wenn ja, welcher Art? Waren es Soßenkleckse? Sahneflecke? Kaffeespritzer? Darauf kam es an. Was ihre Gäste sagten, kümmerte sie keinen Pfifferling, weil die Spuren, die sie auf der Tischwäsche hinterließen, viel aufschlussreicher waren. Elsa prophezeite den kommenden Umsatz anhand der Servietten. Tatsächlich hatten wild zerknüllte Servietten sie gelehrt, von welchen Gerichten sie mehr machen musste und von welchen Nachspeisen weniger, was sie immer vorrätig und servierbereit haben musste und was nur bei Bedarf gekocht werden sollte.
Qualität und Umsicht machten den Ruf ihres Restaurants aus. Und das Essen war hervorragend.
Ihr Paprikahühnchen beispielsweise ist wie Gulasch in Ungarn ein ganz gewöhnliches Gericht, das einfachste auf der Speisekarte. Schließlich handelte es sich um ein Grundnahrungsmittel, das früher dem gesunden Wachstum der Proletarierfamilie diente. Jahrzehntelang stopften Mütter und Großmütter damit die hungrigen Mäuler ihrer Kleinen. Es war unkompliziert und im Handumdrehen fertig:Man musste nur das Hühnchen schlachten und aufpassen, dass der Paprika nicht anbrannte. Elsa nahm dazu Brust von einem drallen, frei laufenden Landhühnchen, den rotesten Paprika, den es gab, blaue Zwiebeln, Salz, cremig gerührten Sauerrahm und frisch gemahlenes Mehl. Diese Zutaten waren überall erhältlich. Elsa kochte gerne mit frischen Ingredienzien und entlockte Nahrungsmitteln aus dem ganzen Land die herrlichsten Aromen. Jeder Bissen war
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