E.M. Remarque
mich in das Abenteuer der Modehäuser zu stürzen.
Mein Onkel Gaston möchte mich bereits unter Kuratel stellen – oder mich
verheiraten.«
Clerfayt lachte.
»Er möchte dich in ein zweites Gefängnis stecken, bevor du weißt, was Freiheit
ist?«
»Was ist Freiheit?«
»Das weiß ich auch
nicht. Ich weiß nur, daß es weder Verantwortungslosigkeit noch Ziellosigkeit
ist. Man weiß leichter was es nicht ist, als was es ist.«
»Wann kommst du
wieder?« fragte Lillian.
»In ein paar
Tagen.«
»Hast du eine
Geliebte in Rom?«
»Ja«, sagte
Clerfayt.
»Das dachte ich
mir.«
»Warum?«
»Es wäre sonderbar,
wenn du allein gelebt hättest. Ich habe auch nicht allein gelebt, als du
kamst.«
»Und jetzt?«
»Jetzt«, sagte
Lillian, »bin ich viel zu betrunken von mir selbst hier unten, als daß ich
darüber nachdenken könnte.«
Sie ging am nächsten
Nachmittag zu Balenciaga. Sie hatte außer ihren Sportsachen nur wenige Kleider.
Einige waren noch nach der Mode aus dem Kriege geschnitten, andere hatte sie
von ihrer Mutter bekommen, und sie waren von einer kleinen Schneiderin
umgearbeitet worden.
Sie beobachtete
aufmerksam die Frauen, die um sie herumsaßen. Sie studierte ihre Kleider, und
sie forschte in ihren Gesichtern nach derselben Erwartung, die in ihr war. Sie
fand sie nicht. Sie fand böse, ältliche Papageien, die zu stark geschminkt
waren und aus faltigen, lidlosen Augen auf die jüngeren Frauen blickten, und
junge Frauen von zerbrechlicher Eleganz, deren skeptischen Blicken nichts
entging als die unbegreifliche Faszination einfachen Da-Seins. Dazwischen saß
ein Rudel schöner Amerikanerinnen, plappernd, zwitschernd und ahnungslos. Nur hier
und da schimmerte in der aufgeregten Leere, wie ein sanftes Leuchtfeuer des
Vergehens zwischen Schaufensterdekorationen, ein Gesicht, das Magie
hatte – meistens ein alterndes – ohne die Panik, dafür aber mit dem
seltenen Zauber des Alterns, der nicht wie Rost, sondern wie Patina auf einem
edlen Gefäß seine Schönheit noch erhöhte.
Die Parade der
Mannequins begann. Lillian hörte von draußen den gedämpften Lärm der Stadt
hereindringen wie das behutsame Trommeln aus einem modernen Urwald aus Stahl,
Beton und Maschinen. Es schien, als wären die Mannequins auf ihren schmalen
Gelenken daraus hereingeweht wie künstliche Tiere, lang gestreckte Chamäleons,
die ihre Kleider wechselten wie ihre Hautfarben und schweigend an den Stühlen
vorbeiglitten.
Sie suchte fünf Kleider
aus. »Wollen Sie sie gleich probieren?« fragte die Verkäuferin.
»Kann ich das?«
»Ja. Diese drei
werden Ihnen passen; die anderen sind etwas zu weit.«
»Wann kann ich sie
haben?« fragte Lillian.
»Wann brauchen Sie
sie?«
»Sofort.«
Die Verkäuferin
lachte. »Sofort heißt hier in drei bis vier Wochen – frühestens.«
»Ich brauche sie
sofort. Kann ich die Modelle kaufen, die mir passen?«
Die Verkäuferin
schüttelte den Kopf. »Nein, wir brauchen sie jeden Tag. Aber wir werden tun,
was wir können. Wir sind überhäuft mit Arbeit, Mademoiselle. Wenn wir der Reihe
nach die Aufträge ausführen, würden Sie sechs Wochen warten müssen. Wollen wir
das schwarze Abendkleid jetzt probieren?«
Die Modelle waren
in eine Kabine gebracht worden, die voll von Spiegeln war. Die Schneiderin kam
mit ihnen, um Maß zu nehmen. »Sie haben ausgezeichnet gewählt, Mademoiselle«,
sagte die Verkäuferin. »Die Kleider passen zu Ihnen, als wären sie für Sie
entworfen. Monsieur Balenciaga wird sich freuen, wenn er sie an Ihnen sieht.
Schade, daß er jetzt nicht hier ist.«
»Wo ist er?« fragte
Lillian höflich und gedankenlos, während sie ihr Kleid abstreifte.
»In den Bergen.«
Die Verkäuferin
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