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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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die
Schul­tern. »Wie Sie wol­len. Aber neh­men Sie einen Kran­ken­wa­gen.«
    Wol­kow ver­sprach
es. Er wuß­te, daß er kei­nen neh­men wür­de. Sein Re­spekt vor dem Le­ben ging nicht
weit ge­nug, um nicht zu wis­sen, daß zu­viel Sorg­falt einen Kran­ken eben­so tö­ten
konn­te wie zu­we­nig. Lil­li­an als Ster­ben­de zu be­han­deln wür­de schlim­mer sein als
die Fahrt im Au­to zu ris­kie­ren.
    Sie sah ihm hei­ter
ent­ge­gen, als er zu­rück­kam. Seit die Krank­heit sich stär­ker ge­zeigt hat­te, war
sie hei­ter ge­wor­den – als ob das va­ge Schuld­ge­fühl, das sie we­gen
Cler­fa­yts Tod ge­spürt hat­te, da­durch ge­tilgt wor­den sei. Der Schmerz um einen
an­dern, dach­te sie mit leich­ter Iro­nie, wur­de er­träg­li­cher, wenn man wuß­te, daß
man selbst nicht mehr lan­ge zu le­ben hat­te. Selbst das Ge­fühl der Re­bel­li­on
ge­gen die Krank­heit war ge­wi­chen seit Cler­fa­yts Tod. Nie­mand ent­kam, we­der der
Kran­ke noch der Ge­sun­de, das er­gab einen pa­ra­do­xen Aus­gleich.
    »Ar­mer Bo­ris!«
sag­te sie. »Was hat dir der Arzt ge­sagt? Daß ich die Rei­se nicht über­ste­hen
wer­de?«
    »Nichts von al­le­dem.«
    »Ich wer­de sie
über­ste­hen. Schon, weil er das Ge­gen­teil pro­phe­zeit. Und ich wer­de noch län­ger
le­ben.«
    Wol­kow sah sie
über­rascht an. »Das ist wahr, Du­scha. Ich füh­le das auch.«
    »Gut. Dann gib mir
einen Wod­ka.«
    Sie hielt ihm ihr
Glas hin. »Was sind wir doch für Schwind­ler«, sag­te sie nach ei­ner Wei­le. »Wir
mit un­se­ren klei­nen Tricks! Aber was sol­len wir sonst tun? Wenn man schon Angst
hat, kann man auch eben­so­gut et­was dar­aus ma­chen. Ein Feu­er­werk oder ei­ne
Spie­gel­fech­te­rei oder ei­ne klei­ne Weis­heit, die bald schmilzt.«
    Sie fuh­ren an ei­nem
sehr mil­den, war­men Tag hin­auf. Auf der hal­b­en Pass­hö­he kam ih­nen in ei­ner
Haar­na­del­kur­ve ein Wa­gen ent­ge­gen, der hielt, um sie vor­bei­zu­las­sen.
»Holl­mann!« rief Lil­li­an. »Das ist doch Holl­mann!«
    Der Mann in dem
an­de­ren Wa­gen blickt auf. »Lil­li­an! Und Bo­ris! Aber ...«
    Hin­ter ihm hup­te
ein un­ge­dul­di­ger Ita­lie­ner, der einen klei­nen Fi­at fuhr und glaub­te, der
Renn­fah­rer Nu­vo­la­ri zu sein. »Ich par­ke den Wa­gen«, rief Holl­mann. »War­tet auf
mich!«
    Er fuhr ein Stück
wei­ter, ließ den Ita­lie­ner vor­bei und kam zu Fuß zu­rück. »Was ist los,
Holl­mann?« frag­te Lil­li­an. »Wo­hin fah­ren denn Sie?«
    »Ich ha­be Ih­nen
doch er­zählt, daß ich ge­sund bin.«
    »Und der Wa­gen?«
    »Ge­lie­hen. Es kam
mir zu al­bern vor, im Zug zu fah­ren. Jetzt, wo ich wie­der en­ga­giert wor­den
bin!«
    »En­ga­giert? Von
wem?«
    »Von un­se­rer al­ten
Fir­ma. Sie ha­ben mich ges­tern an­ge­ru­fen. Sie brau­chen noch je­mand –«
Holl­mann schwieg einen Au­gen­blick. Dann strich er sein Haar zu­rück. »Tor­ria­ni
ha­ben sie ja schon; jetzt wol­len sie es mit mir da­zu ver­su­chen. Wenn es gut
geht, fah­re ich bald die klei­ne­ren Ren­nen mit. Dann die großen. Hal­ten Sie mir
die Dau­men! Wie schön, daß ich Sie noch ge­spro­chen ha­be, Lil­li­an!«
    Sie sa­hen ihn noch
ein­mal von ei­ner hö­he­ren Kur­ve aus, als er wie ein blau­es In­sekt die Stra­ße
hin­un­ter­fuhr, um die Stel­le Cler­fa­yts ein­zu­neh­men, so wie Cler­fa­yt die Stel­le
ei­nes an­de­ren über­nom­men hat­te und ein an­de­rer wie­der die Holl­manns ein­neh­men
wür­de.
    Lil­li­an starb sechs
Wo­chen spä­ter, an ei­nem wei­ßen Som­mer­mit­tag, der so still war, daß die
Land­schaft den Atem an­zu­hal­ten schi­en. Sie starb schnell und über­ra­schend und
al­lein. Bo­ris war für kur­ze Zeit ins Dorf ge­gan­gen. Als er zu­rück­kam, fand er
sie tot auf ih­rem Bett. Ihr Ge­sicht war ver­zerrt; sie war wäh­rend ei­ner Blu­tung
er­stickt, und ih­re Hän­de wa­ren in der Nä­he des Hal­ses ver­krampft; aber kur­ze
Zeit spä­ter glät­te­ten sich ih­re Zü­ge, und das Ge­sicht wur­de schö­ner, als er es
seit lan­gem ge­se­hen hat­te. Er glaub­te auch, daß sie glück­lich ge­we­sen sei,
so­weit man einen Men­schen je­mals glück­lich nen­nen kön­ne.

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