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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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nann­te den Ort, aus dem Lil­li­an kam. Es war Lil­li­an, als sag­te
sie Ti­bet.
    »Er ist da, um sich
zu er­ho­len«, sag­te die Ven­deu­se.
    »Ja, das kann man
da.«
    Lil­li­an rich­te­te
sich auf und sah in den Spie­gel.
    »Se­hen Sie!« sag­te
die Ver­käu­fe­rin. »Das ist es, was ich mein­te. Die meis­ten Frau­en kau­fen, was
ih­nen ge­fällt. Sie ha­ben ge­kauft, was zu Ih­nen paßt. Fin­den Sie nicht auch?«
frag­te sie die Schnei­de­rin.
    Die Schnei­de­rin
nick­te. »Jetzt noch den Man­tel!«
    Das Abend­kleid war
kohl­schwarz, mit ei­ner Spur von me­xi­ka­ni­schem Rot, und eng; der Man­tel da­zu
aber war weit und ca­pe­för­mig, aus ei­nem halb durch­sich­ti­gen Ma­te­ri­al, das
ab­stand, als wä­re es ge­stärkt.
    »Dra­ma­tisch«, sag­te
die Ver­käu­fe­rin. »Sie se­hen dar­in aus wie ein ge­fal­le­ner Erz­en­gel.«
    Lil­li­an sah sich
an. Aus dem großen, drei­tei­li­gen Spie­gel blick­ten ihr drei Frau­en ent­ge­gen,
zwei im Pro­fil und ei­ne von vorn, und wenn sie ein we­nig zur Sei­te rück­te, sah
sie re­flek­tiert vom Wand­spie­gel hin­ter ihr, ei­ne vier­te, die ihr den Rücken
kehr­te und schon im Be­griff zu sein schi­en, weg­zu­ge­hen.
    »Dra­ma­tisch!«
wie­der­hol­te die Ver­käu­fe­rin.
    »Warum kann Lu­cil­le
es nicht so tra­gen?«
    »Wer ist Lu­cil­le?«
    »Un­ser bes­tes
Man­ne­quin. Die, die das Kleid vor­ge­führt hat.«
    Warum soll­te sie es
so tra­gen? dach­te Lil­li­an. Sie wird noch tau­send an­de­re Klei­der tra­gen, und sie
wird das noch vie­le Jah­re tun und dann hei­ra­ten und Kin­der be­kom­men und alt
wer­den. Ich aber wer­de die­ses Kleid nur einen Som­mer tra­gen. »Kön­nen Sie es
nicht schnel­ler ma­chen als vier Wo­chen?« frag­te sie. »Die­ses ei­ne we­nigs­tens?
Ich ha­be we­nig Zeit.«
    »Was mei­nen Sie,
Ma­de­moi­sel­le Clau­de?« frag­te die Schnei­de­rin.
    Die Ver­käu­fe­rin
nick­te. »Wir wer­den so­fort an­fan­gen.«
    »Wann?« frag­te
Lil­li­an.
    »In zwei Wo­chen
kann es fer­tig sein.«
    »Zwei Wo­chen –«
Es war wie zwei Jah­re.
    »Wenn es mög­lich
ist, in zehn Ta­gen. Wir brau­chen ein paar An­pro­ben.«
    »Gut. Wenn es nicht
an­ders geht.«
    »Es geht nicht
an­ders.«
    Sie kam je­den Tag zum
An­pro­bie­ren. Die Stil­le in der Ka­bi­ne ver­zau­ber­te sie auf son­der­ba­re Wei­se. Sie
hör­te manch­mal die Stim­men an­de­rer Frau­en von drau­ßen, aber im Grau und Sil­ber
ih­rer ei­ge­nen Ka­bi­ne war sie wie ab­ge­schlos­sen vom Ge­trie­be der Stadt. Um sie
her­um husch­te die Schnei­de­rin wie ei­ne Pries­te­rin um ein Idol. Sie steck­te ab,
faß­te Stoff zu­sam­men, sie raff­te, schnitt, mur­mel­te Un­ver­ständ­li­ches aus ei­nem
Mun­de, der von Na­deln starr­te, knie­te und zupf­te und glät­te­te vor­sich­tig und
rutsch­te zu­rück und vor­wärts wie in ei­ner sich im­mer aufs neue wie­der­ho­len­den
Ze­re­mo­nie. Lil­li­an stand still und sah vor sich in den Spie­geln die drei
Frau­en, die ihr gli­chen und gleich­zei­tig auf ei­ne sehr küh­le Wei­se von ihr
di­stan­ziert wa­ren, mit de­nen vor ih­ren Au­gen et­was ge­sch­ah, das nur von wei­tem
mit ihr zu tun zu ha­ben schi­en und das trotz­dem auch sie tief ver­än­der­te.
Manch­mal hob sich der Vor­hang ih­rer Ka­bi­ne, und ei­ne an­de­re Käu­fe­rin späh­te
hin­ein – mit dem rasch mus­tern­den Blick der un­er­müd­li­chen Kämp­fe­rin­nen des
Ge­schlechts, neu­gie­rig und im­mer auf der Hut. Lil­li­an fühl­te dann, daß sie
nichts da­mit ge­mein­sam hat­te. Sie war nicht auf der Jagd nach ei­nem Man­ne; sie
war auf der Jagd nach dem Le­ben.
    Im Lau­fe der Ta­ge
ent­wi­ckel­te sich ein Ver­hält­nis von son­der­bar frem­der In­ti­mi­tät zwi­schen ihr
und den Frau­en im Spie­gel, die sich mit je­dem neu­en Kleid ver­wan­del­ten. Sie
sprach mit ih­nen, oh­ne zu spre­chen; die Bil­der lä­chel­ten ihr zu, oh­ne zu
lä­cheln. Sie wa­ren ernst und auf ei­ne stil­le, schwer­mü­ti­ge Wei­se mit­ein­an­der
ver­traut, wie Schwes­tern, die weit von­ein­an­der ge­trennt auf­ge­wach­sen wa­ren und
nie er­war­tet hät­ten, sich je­mals zu se­hen. Jetzt ge­sch­ah es wie im Trau­me, und
es war ein schwei­gen­des Ren­dez­vous, voll

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