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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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die fal­ti­ge Stirn und die zu
wei­chen Hän­de. Ich wach­te auf, tief ver­stört, aber nicht mehr so ver­wirrt und
na­he dem Selbst­mord wie sonst. Ich wach­te auf, voll von Bit­ter­keit und
Ra­che­ge­füh­len, aber nicht mehr hin­ge­schla­gen und wie von ei­nem Last­wa­gen
über­fah­ren, son­dern ge­duckt und ge­sam­melt und in ei­ner furcht­ba­ren Un­ge­duld und
dem fins­te­ren Be­wußt­sein, noch am Le­ben zu sein und mein Le­ben be­nut­zen zu
kön­nen. Es war nicht mehr das Ge­fühl ei­nes hoff­nungs­lo­sen En­des – es war
das Ge­fühl ei­nes hoff­nungs­lo­sen Be­gin­nens. Hoff­nungs­los des­halb, weil nichts
wie­der le­ben­dig zu ma­chen war. Was ge­fol­tert, er­mor­det und ver­brannt war, war
ge­sche­hen und nicht wie­der­gutz­u­ma­chen und nicht mehr zu än­dern. Zu än­dern war
aber die an­de­re Sei­te des Ge­sche­hens. Das war nicht mit Ra­che zu ver­wech­seln,
ob­wohl es ihr glich und aus den­sel­ben pri­mi­ti­ven Wur­zeln kam wie sie. Es war
das Ge­fühl, das nur dem Men­schen ei­gen war: Daß ein Ver­bre­chen nicht un­ge­sühnt
blei­ben soll­te, weil sonst al­le mo­ra­li­schen Fun­da­men­te zu­sam­men­bre­chen und
Cha­os herr­schen wür­de.
    ***
    Es war son­der­bar, daß die­se letz­ten
Mo­na­te trotz al­lem et­was Ge­wichts­lo­ses hat­ten. Das Bild hat­te sich ver­scho­ben,
das Schat­ten­haf­te, Un­wirk­li­che, das der gan­ze Auf­ent­halt in Ame­ri­ka an sich
ge­habt hat­te, war auf ein­mal ei­ner stil­len, zau­ber­haf­ten Land­schaft ge­wi­chen.
Es war, als hät­te sich ein Ne­bel ge­ho­ben, Far­ben wa­ren da, ein Idyll am frü­hen
Abend im gol­de­nen Licht, ei­ne stil­le Fa­ta Mor­ga­na über ei­ner rast­lo­sen Stadt.
Es war das Be­wußt­sein des Ab­schieds, der al­les ver­klär­te und idea­li­sier­te. Es
war im­mer der Ab­schied, dach­te ich, und ein Le­ben vol­ler Ab­schie­de schi­en mir
einen Au­gen­blick lang wie das wirk­li­che Pen­dant zum Traum des ewi­gen Le­bens,
nur daß es an die Stel­le ei­ner un­er­träg­li­chen ahas­ver­haf­te­ten Mo­no­to­nie ein
vol­les Da­sein von ver­klär­ten To­ten setz­te. Je­der Abend war der letz­te.
    Ich hat­te mich ent­schlos­sen, Na­ta­scha erst
im letz­ten Au­gen­blick zu sa­gen, daß ich zu­rück­gin­ge. Ich spür­te, daß sie es
ahn­te, aber sie sag­te nichts, und ich woll­te es lie­ber auf mich neh­men, als
De­ser­teur und Ver­rä­ter da­zu­ste­hen, als der Quä­le­rei ei­nes lang hin­aus­ge­zo­ge­nen
Ab­schieds mit Vor­wür­fen, Ge­kränkt­sein, kur­z­en Ver­söh­nun­gen und den an­de­ren
Schwie­rig­kei­ten aus­ge­setzt zu sein. Ich konn­te es auch nicht. Was ich an Kraft
hat­te, war auf ein an­de­res Ziel ge­rich­tet. Ich konn­te nichts da­von ent­beh­ren
und in furcht­lo­ser Trau­er, Streit und Er­klä­run­gen ver­schwen­den.
    Es wa­ren kla­re Wo­chen, die so voll von
Lie­be wa­ren wie ein Bie­nen­korb mit Wa­ben vol­ler Ho­nig. Der Mai wuchs in den
Som­mer hin­ein, und die ers­ten Nach­rich­ten aus Eu­ro­pa ka­men durch. Es war, als
öff­ne sich ein Grab, das lan­ge zu­ge­mau­ert ge­we­sen war. War ich frü­her oft den
Nach­rich­ten aus­ge­wi­chen oder hat­te ich sie nur mit der obe­ren Schicht mei­nes
Be­wußt­seins re­gis­triert, um von ih­nen nicht um­ge­sto­ßen zu wer­den, so stürz­te
ich mich jetzt dar­auf. Sie hat­ten mit dem Ziel zu tun, das mir wie ein Pfahl im
Flei­sche steck­te: ab­zu­fah­ren. Ich war blind und taub ge­gen al­les an­de­re.
    »Wann fährst du?« frag­te Na­ta­scha mich
plötz­lich.
    Ich schwieg ei­ne Se­kun­de. »An­fang Ju­li«,
sag­te ich dann. »Wo­her weißt du es?«
    »Nicht von dir. Warum hast du es mir nicht
ge­sagt?«
    »Ich ha­be es erst ges­tern er­fah­ren.«
    »Du lügst.«
    »Ja«, er­wi­der­te ich, »ich lü­ge. Ich woll­te
es dir nicht sa­gen.«
    »Du hät­test es mir ru­hig sa­gen kön­nen.
Warum nicht?«
    Ich schwieg. »Es fällt mir schwer«,
mur­mel­te ich dann.
    Sie lach­te. »Warum? Wir wa­ren ei­ne Zeit­lang
zu­sam­men, und wir ha­ben uns nichts vor­ge­macht. Ei­ner hat den an­de­ren be­nützt.
Jetzt tren­nen wir uns. Was ist da­bei?«
    »Ich ha­be dich nicht be­nützt.«
    »Aber ich dich. Und du mich auch. Lü­ge
nicht! Es

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