E.M. Remarque
einem einzelnen jedoch versuchte er,
ihn zu retten. Kahn brachte das Lager in Aufruhr, bis er mich fand. Es war eine
Komödie der Irrungen. Ich hatte mich versteckt, weil ich tatsächlich glaubte,
die Gestapo wäre da. Draußen gab Kahn mir einen Kognak und erklärte mir, was
los war. Er war so verkleidet, daß ich ihn nicht erkannt hatte.
Führerschnurrbart und gefärbtes Haar. Sein Kognak war der beste, den ich je
getrunken hatte. Er hatte ihn eine Woche vorher erbeutet.« Ravic sah mich an.
»Er war der leichteste Mensch in schweren Situationen, den ich gekannt habe.
Hier wurde er schwerer und schwerer. Er konnte nicht gerettet werden. Verstehen
Sie, weshalb ich Ihnen dies gesagt habe?«
»Ja.«
»Ich habe mehr Grund als Sie, mich
anzuklagen. Ich klage mich nicht an. Wo bliebe man sonst?« sagte Ravic langsam.
Dann krachte es auf der Treppe. »Die
Schritte der Polizei«, sagte Ravic. »Auch sie vergißt man nie.«
»Wohin bringt man ihn?« fragte ich rasch.
»In die Morgue zum Sezieren. Vielleicht
auch nicht. Die Todesursache ist klar.« Die Tür sprang auf. Rohes, primitives
Leben füllte den Raum. Knallende Gesundheit machte sich professionell breit mit
ihren stupiden Fragen, den zu kurzen Bleistiften, mit einer Bahre und Lärm. Man
nahm uns mit zur Polizei. Wir mußten unsere Adressen angeben und konnten
schließlich gehen. Kahn blieb zurück.
***
»Der Besitzer des
Beerdigungsinstituts begrüßt uns bereits, als wären wir alte Bekannte«, sagte
Lissy Koller bitter.
Ich sah sie an. Sie war gefaßter, als ich
erwartet hatte. Es war sonderbar, daß Kahn auf Frauen keinen nachhaltigen
Eindruck gemacht hatte. Ravic hatte Tannenbaum benachrichtigt, und der hatte
Carmen Bescheid gesagt. Sie hatte geantwortet, daß sie nicht überrascht sei,
und sich wieder ihren Hühnern zugewandt. Lissys Beziehungen waren kürzer und
loser gewesen, aber auch sie war viel weniger verstört als bei der Trauerfeier
für Betty Stein. Ihr Gesicht war rosig und frisch, als lägen ihre Depressionen
weit hinter ihr. Sie hatte wahrscheinlich einen Liebhaber gefunden, dachte ich.
Jemand, der harmlos und egoistisch ist und den sie versteht. Kahn hatte auch
sie nicht begriffen, und er hatte sich nie für Frauen interessiert, die ihn
verstanden hätten.
Es war ein windiger Tag mit weißen
Wolkengebirgen. Von den Dächern tropfte der Tau. Ich hatte Rosenbaum gedroht,
ihn aus der Kapelle zu prügeln, wenn er an Kahns Sarg reden sollte, und er
hatte versprochen zu schweigen. Es gelang mir im letzten Augenblick, den
Besitzer des ›Trauerheims‹ davon abzuhalten, deutsche Volkslieder auf dem
Grammophon zu spielen. Er war ziemlich beleidigt und erklärte mir, daß andere Kunden
nichts dagegen einzuwenden gehabt hätten, im Gegenteil: ›Ach, wie ist's möglich
dann‹ hätte sehr gefallen. – »Woher wissen Sie das?«
»Es wurde mehr geweint als sonst.«
Es kam darauf an, wie man es auffaßte,
dachte ich. Der Mann hatte die Platten von Bettys Trauerfeier behalten und
daraus ein Geschäft gemacht. Er war seit Möllers Tod der Spezialist für
Emigrantenbegräbnisse geworden. »Etwas Musik muß doch gespielt werden«,
erklärte er mir. »Es ist sonst zu nüchtern.«
Die Gebühr für die Beerdigung erhöhte sich
mit Musik um fünf Dollar. Ich hatte bereits die Lorbeerbäume am Eingang
gestrichen, jetzt starrte der Mann mich an, als risse ich ihm sein letztes
Stück Brot aus den Goldzähnen. Ich schaute seinen Plattenvorrat durch und fand
das ›Ave verum‹ von Mozart. »Spielen Sie diese Platte«, sagte ich. »Und lassen
Sie meinetwegen die Kübel mit den Lorbeerbäumen da.«
Die Kapelle war nur halb voll. Ein
Nachtwächter, drei Kellner, zwei Masseure, eine Masseuse, die nur neun
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